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Gesucht: Der homo SAPiens

SAP sprengt seine Ketten, so hört es sich an, dieser Tage an der Börse. Vielleicht hat der Walldorfer Konzern auch wegen seiner geplanten „Behördencloud“ mit Arvato (Bertelsmann) und dem Unterbau von Microsoft nicht genauso schlimm verloren wie am vergangenen Donnerstag zum Beispiel andere Technologie-Unternehmen.

SAP sprengt seine Ketten, so hört es sich an, dieser Tage an der Börse. Vielleicht hat der Walldorfer Konzern auch wegen seiner geplanten „Behördencloud“ mit Arvato (Bertelsmann) und dem Unterbau von Microsoft nicht genauso schlimm verloren wie am vergangenen Donnerstag zum Beispiel andere Technologie-Unternehmen.

Von Reinhard Schlieker

Aber immer noch schlimm genug – im Gleichklang mit dem Dax insgesamt gab es in der letzten Januarwoche schon Tage der brutalen Abrechnung, nur wofür eigentlich? Das immerhin bedeutendste Softwareunternehmen außerhalb der USA macht nicht so viel verkehrt, so sehen es die meisten Analysten, und mahnen zu Geduld. Am 3. März ist ein weiterer Tag der Abrechnung, nämlich per Geschäftsbericht für das Jahr 2021. Dann liegt auch der erneuerte Ausblick 2022 auf dem Tisch, und es wird vermutlich, ganz gleich wie der ausfällt, wieder bedauernde Worte geben darüber, dass es mit dem Cloud-Business nicht so flott voran geht wie bei Amazon oder so versiert wie bei Microsoft. Allerdings hat das Unternehmen für betriebliche Softwarelösungen auch nicht, wie etwa Amazon, einen Milliarden-Kundenstamm weltweit, oder wie Microsoft, eine Quasi-Monopolstellung bei Betriebssystemen, wodurch man dort seine Pappenheimer sehr gut kennt (und diese ihr Microsoft). Die SAP-Konkurrenten Oracle oder Salesforce kochen derweil heiß, aber auch nur mit Wasser, welchem allerdings ein irgendwie höherer Wert zugestanden wird. Das SAP-KGV für 2022 mit geschätzten 20 ist jedenfalls nicht atemberaubend. Aber ist es auch ein Kaufgrund für die Aktie?

SAP hat einiges an Enttäuschungspotential, allein schon wegen seiner Alleinstellung in Deutschland und teils Europa. Das Unternehmen war Pionier auf seinem Gebiet, der Unternehmenssoftware von der Stange für den homo SAPiens, als andernorts noch keine Rede von so etwas sein konnte. Doch die siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts sind aus Sicht der Computertechnik in etwa so weit weg wie das ausgehende Mittelalter. Und im Laufe der Jahrzehnte konzentrierte sich SAP dann vor allem auf den Lizenzverkauf und verdiente damit reichlich. Schon deshalb fiel das Umsteuern auf Cloud-basierte Technologien wohl recht schwer, Software als Dienstleistung, und Vorstandschef Christian Klein dürfte gewusst haben, was ihn erwartet, als er eindeutig der Zukunft in der Datenwolke Vorrang vor allem anderen einräumte.

Während die ersteren Erlöse zurückgehen, steigen die anderen nicht im gleichen Tempo, und sind vor allem vorerst unberechenbarer als das etablierte Firmenkundengeschäft. Klein will sich durchbeißen, auch wenn immer wieder Börsentage des Missvergnügens dazwischenkommen. In etwa hat sich die Aktie ansonsten im Rahmen des Dax entwickelt, Ausreißer nach unten fällig immer dann, wenn die bekannt gegebenen Zahlen nicht mindestens den Analystenerwartungen entsprachen; zuletzt gab es einen wirklich schwarzen Tag im Herbst 2020 mit Kursverlusten bis auf 83 Euro. Der jetzige Stand um die 110 Euro ist vom Allzeithoch (142,50 im September 2020) immer noch weiter entfernt als von jenem Einbruch. Über lange Zeit beobachtet zeigt der Aktienkurs allerdings ein nur von wenigen Absackern unterbrochenes Bild des allmählichen Aufstiegs. Sollte nun das Cloud-Geschäft zulegen wie bis 2025 geplant, könnte es auch einmal positive Überraschungen geben.

Was nun das erwähnte Angebot einer Daten-Cloud für die deutsche Verwaltung angeht – nun, da brauchen die Beteiligten sicherlich einen langen Atem. Der Charme des Produkts liegt sicherlich darin, dass im Rahmen der politisch gewollten Digitalisierung eine Speicherung sensibler Datenpakete auf Servern außerhalb Deutschlands und Europas problematisch ist. Diverse Geheimdienstaffären haben deutlich gemacht, dass der Zugriff ausländischer Dienste auf deutsche Daten bei Microsoft oder Amazon keine Schwierigkeit zu sein scheint. Hier stoßen SAP und Arvato mit dem geplanten Gemeinschaftsunternehmen in eine Lücke, sollte man meinen. Demgegenüber haben gerade die Ereignisse der letzten zwei Jahre gezeigt, dass die öffentliche Verwaltung mehrere Entwicklungsschritte gekonnt überspringen müsste, um in der Datenwelt des 21. Jahrhunderts anzukommen. Teils wäre das ein Schockprogramm, etwa wenn es vom Faxgerät unvermittelt in die Computer-Cloud gehen soll. Die Leitungen für den Datenverkehr sind auch vielfach nicht da, wo sie sein sollten. Vereinzelt haben Ämter und Behörden bereits Cloud-Anwendungen, doch, Überraschung, sie sind kaum untereinander kompatibel.

Der Laie mag sich denken, dass die Bereitstellung zuverlässiger Daten, etwa im Gesundheitssektor in Echtzeit, doch wohl ein erstrebenswerter Fortschritt wäre. Doch ob das alle Beteiligten auch begrüßenswert finden? Ein gewisses Durcheinander und wilde Schätzungen haben doch auch etwas Heimeliges, man ist es halt so gewöhnt, und Gesprächsstoff bietet ein Chaos sicher in höherem Maße als ein makelloses Zahlensheet. Die vaterländische Komponente des Wirkens von SAP steht also noch aus. Aber vielleicht finden Anleger ja auch Kurzfristigeres, was den Titel interessant erscheinen lässt.

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