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Kommt die Bahnsteigkarte?

Unter allgemein gellendem Geschrei hat die Deutsche Bahn von Plänen Abstand genommen, pro Fahrkarte 2,50 Euro Schaltergebühr zu erheben (hin und zurück logischerweise das Doppelte). Das Vorhaben hätte dem Vernehmen nach 50 Millionen Euro in die Portokasse des Schienenvekehrsträgers gebracht – bei derzeit angenommenen Kosten der Bahnschalter von 100 Millionen jährlich. Peanuts, raunt es von irgendwo her aus der Bahn- Vorstandsetage. Bei 30 Milliarden Umsatz das richtige Wort, aber in Deutschland einschlägig belastet, wenn es aus dem Mund eines Unternehmensvorstands kommt.

BÖRSE am Sonntag

WIE DEM AUCH SEI, Hartmut Mehdorn hat sich mal wieder als Prellbock betätigt, diesmal wohl nicht ganz freiwillig, denn auch die Bundesregierung musste dem Bahn-Chef klarmachen, dass das nicht geht mit dem Kassieren am Counter. Zusätzlich zu den ohnehin beschlossenen 3,9 Prozent Preiserhöhung im Dezember. Die angesichts steigender Energiepreise und zweistelliger Tarifabschlüsse aus Sicht der Bahn für gar nichts reichen, was da künftig an Kosten auf sie zurollt. Verständlich, aber nicht mitleiderregend. Die Bahn weiß nicht erst seit gestern, dass sie kein normales Unternehmen ist. Für viele zählt ihr wesentliches Produkt zur Grundversorgung schlechthin, da tut auch keine Privatisierung etwas zur Sache und auch kein Börsengang. Leider macht die Gemengelage jede Regelung im Bahnkonzern sofort zur öffentlichen Debattenvorlage, denn bald jeder ist Kunde, ist als Steuerzahler auch Miteigentümer und als Wähler Lobbyist in einer Person. Das kann nicht gut gehen. Die Bundesrepublik Deutschland als Eigentümer der Bahn hat dem Vernehmen nach über ihre Vertreter im Aufsichtsrat nichts gegen die geplante Servicegebühr einzuwenden gehabt. Tags darauf allerdings in ihrer Ausprägung als irgendwie von den Bahnkunden gewählte Bundesregierung sehr wohl. Das spagatähnliche Auftreten der Politik dürfte auch in Zukunft bei einer dann teilbörsennotierten Bahn nicht einfacher werden. Denn der Kapitalmarkt hätte vom Prinzip her nichts gegen solche Sachen, wie eine Schalterpauschale, ja am Ende nicht einmal gegen eine Bahnsteigkarte. Schließlich muss das Unternehmen seine Kosten erwirtschaften, und da wäre es wohl gerechter, die Bahn kassierte bei denjenigen Kunden, bei denen sie entstehen. Schließlich bezahlt der Doit- yourself-Kunde, der im Internet bucht, derzeit den Mehraufwand für den Schalterkunden mit. Aber ist der nicht mit dem unvermeidlichen Schlangestehen schon hinreichend abgeschreckt? Oder durch das durchaus hohe Risiko, vom „Schalterbeamten“ zu teure oder für die Fahrkarte nich erlaubte Verbindungen genannt zu bekommen, nicht schon genug gestraft? Das ist eben Kundensicht. Der Kapitalmarkt würde sagen, wer die Kunden abschreckt, verliert sie – bei der Bahn droht das kaum, denn sonst fährt ja fast niemand auf der Schiene. Ein wichtiges Korrektiv des Marktes also ist trotz Privatisierung nicht vorhanden. Deshalb übernimmt offenbar die Politik immer mal wieder die Rolle des Kundendienstleisters, mit wechselhaftem Erfolg. Sie wird aber das Dilemma nicht lösen können, dass die Bahn marktwirtschaftlich, betriebswirtschaftlich sinnvoll arbeiten soll, aber eine Art staatlich zu organisierende Leistung erbringt. Richtig kompliziert wird es dann, wenn auch noch direkte politische Ziele zu verwirklichen sind, zum Beispiel mehr Güter auf die Schiene zu bringen. Das würde auch noch zusätzliche Subventionen erfordern. Der Verzicht auf die Schaltergebühr also löst nur vordergründig ein bahntypisches Problem, dessen Grundlage aber nicht in Frage steht. Da wird es wohl noch mehr Streitigkeiten geben – vor dem Börsengang und danach. Und da fast alle Unternehmen ihre Kunden inzwischen vor die Wahl stellen, entweder selbst zu arbeiten (sei es durch Internetbuchung oder beim Möbelaufbau) – oder für Bedienung zu zahlen, so wird das früher oder später auch bei der Bahn Einzug halten.