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Konjunktur der Untoten?

Sparen ist per se weder gut noch schlecht – sagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Da unterschätzt er die Deutschen, die auch und gerade in der Krise, dann aber auch in guten Zeiten, wenn etwas übrigbleibt, weglegen was nur geht.

Sparen ist per se weder gut noch schlecht – sagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Da unterschätzt er die Deutschen, die auch und gerade in der Krise, dann aber auch in guten Zeiten, wenn etwas übrigbleibt, weglegen was nur geht.

Von Reinhard Schlieker

Mittlerweile hat sich ein wenig herumgesprochen, dass bei Bank oder Sparkasse eben nichts übrigbleibt, wenn man nur lange genug anlegt: Das Geld auf Konto oder dem Zombie der Geldanlage, dem Sparbuch, wird aus vielerlei Gründen weniger und ist irgendwann einfach weg. Das ist ebenso wenig Zauberei wie die ehedem gewohnte Vermehrung des pekuniären Besitzes durch Zins und Zinseszins (die Älteren unter uns erinnern sich). Nun haben Corona-Krise in Zusammenwirken mit der auf Dauer angelegten Geldpolitik der EZB einige aufwachen lassen, die zuvor, wie die allermeisten Deutschen, vom Kapitalmarkt nicht viel wissen wollten. Das Geld strömt an die Börsen und in die Aktien, dass es nur so eine Art hat. Und es ist vermutlich nicht einmal das, was man in früheren Börsenaufschwüngen das „stupid money“ genannt hat, als wirklich auch der Letzte noch den vermeintlichen heißen Tipps folgte und sein Erspartes in die Windkanäle der Wall Street lenkte, sei es nun 1929 gewesen oder 2001.

Die gegenwärtige Rallye findet unter reger Beteiligung großer und erster Adressen statt, was natürlich keine Garantie für irgendwas ist, wie man etwa an der ehemaligen drastischen Übergewichtung von Wirecard-Papieren in DWS-Fonds lehrreich beobachten konnte. Momentan wirkt noch recht mächtig die Hoffnung, dass nach Corona das Wirtschaftsleben wie gewohnt weitergehen wird. Und sei es womöglich auch erst 2022 – die Börse handelt bekanntlich die Zukunft, und je zukünftiger, desto besser. Insofern lässt sich das Kursniveau erklären, das schon wieder nichts mehr mit dem vom vergangenen März zu tun haben will, als virusbedingt Heulen und Zähneklappern herrschte.

Der Aufschwung allerdings wäre kaum denkbar gewesen ohne die Geldschleuder des Staates – in Deutschland werden 1,3 Billionen Euro als Rettungsschirm bezeichnet, es gibt Corona-Hilfspakete und es gab schon recht früh die dermaßen unbürokratische Verteilung von Wirtschaftshilfen, dass es nicht schwer war, auch ohne Berechtigung dergleichen abzugreifen. Man spürte die Panik, jetzt spürt man wieder den Glauben, dass billiges Geld so vieles richten kann. Wer sich angesichts dessen in Sachwerte, also auch Aktien, verguckt, hat nicht unbedingt den falschen Riecher. Gerade langfristig allerdings könnte das Vertrauen in deutsche Aktien ein unnötiges Risiko mit sich bringen. Durch all die staatlichen Hilfen, so steht zu vermuten, werden auch Unternehmen durchgeschleppt, die bei einer ganz normalen Konjunkturschwäche aus dem Markt hätten ausscheiden müssen – schöpferische Zerstörung, sofern eben andere, neue Geschäftsideen ihren Platz einnehmen.

Diese Vermutung wird untermauert durch Befunde von Wirtschaftsforschern, dass die Arbeitsproduktivität in Deutschland schon seit Jahren kaum steigt. Die Reallöhne tun es dem gleich – im Sektor für einfache Tätigkeiten sind sie sogar gesunken, so Marcel Fratzscher. Dies wiederum führt dazu, dass kaum Druck für Unternehmen herrscht, arbeitssparende Modernisierung – sprich: Investitionen vorzunehmen. Leider ein langfristiger Teufelskreis, denn die Rechnung dafür bezahlen alle am Ende. Sie wird dann überreicht werden, wenn endgültig klar wird, dass Deutschland im Technologiesektor den Anschluss verpasst hat. Die traditionell starken Exportbranchen übertünchen dies momentan noch.

Was heißt das nun für den Geldanleger? Genau genommen nur das, was privaten Anlegern an der Börse ohnehin schon stets empfohlen wurde: Streuung des Vermögens, und dies nicht nur unter Branchen, sondern vor allem Ländern. Wer die Direktanlage scheut, findet zahlreiche ETFs und Fonds, die sich am internationalen Index MSCI World orientieren, mit Unterindizes für jede Geschmacksrichtung. Solange man darauf hoffen darf, dass weder die jetzige noch eine zukünftige Pandemie die ganze Welt gleichzeitig lahmlegt, müsste diese Strategie jedenfalls den persönlichen ruhigen Schlaf befördern. Bisherige Erhebungen allerdings zeigen eine eindeutige Neigung deutscher Anleger zu Aktien aus DAX, MDAX oder TECDAX. Das könnte für zukünftige Erträge eine riskante Strategie sein. Allerdings, kaum ein Risiko übersteigt das des herkömmlichen Sparbuchs.

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