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Niemand wagt was

Die Ausblicke werden düsterer, zugleich auch nebulöser. Wenn es überhaupt welche gibt. Kommentare und Analysen in diesen Tagen lesen sich wie Orakel mit verbundenen Augen.

BÖRSE am Sonntag

Das ist sicherlich auf zwei Erfahrungen der jüngsten Zeit zurückzuführen: Zum einen das von niemandem ernstlich erwartete Ausmaß der Finanz- und Wirtschaftskrise. Zum anderen die seitdem Karussell fahrenden Daten. Wer als solider Interpret erwartet hat, aus den hereinströmenden Informationen zu Industrieproduktion, Auftragseingang oder Arbeitslosenzahlen etwas herauslesen zu können, sieht sich vor einem Rätsel. Denn die Zahlen sind widersprüchlich – einem nicht so scharfen Rückgang auf einem Gebiet stehen katastrophale Daten auf einem anderen gegenüber. Man kann sich keinen Reim darauf machen, außer vielleicht den, dass noch ein paar böse Zeiten kommen. So ist etwa die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe in den USA nicht so schlecht ausgefallen, wie man angesichts der Krise erwartet hätte. Allerdings stehen die Bausteine für die nächste Statistik bereits in der Zeitung: Massenentlassungen bei allem, was Rang und Namen hat in den USA, von Chrysler bis IBM. Und wie soll man es einschätzen, dass IBM ausscheidenden amerikanischen Mitarbeitern neue Arbeitsplätze in Indien oder China anbietet? Ist das Zynismus, oder rechnet man damit, dass einige das Angebot annehmen? Statistisch signifikant dürfte es nicht werden, aber der Gedanke, dass Amerika sein Arbeitslosenproblem mit chinesischer Hilfe lösen könnte, hat schon was. Das mit der Finanzierung des staatlichen Defizits funktionierte ja auch schon ganz gut. Vielleicht sollte am Ende ein Staatenbund stehen?

Nicht ganz so außergewöhnlich geht es am Aktienmarkt zu – auf die schlechte Stimmung ist vorerst Verlass. Auch wenn es da mal zu Zwischenerholungen auf bescheidenem Niveau kommt – irgendetwas fährt garantiert wieder ins Kontor, und der Aufschwung ist dahin. Mit Sicherheit hatte Josef Ackermann diese Woche erwartet, dass die Börse sein Zahlenwerk wohlwollend aufnimmt, statt, wie geschehen, der ziemlich pulverisierten Aktie noch mal eine Ecke abzuknabbern. Schließlich war der 2008er-Verlust bereits im Wesentlichen bekannt – nicht so jedoch der sehr gut gelaufene Januar mit seinem Milliardenerträgen. Das hätte einen Anerkennungsbonus geben sollen, aber es kam anders. Denn der Anleger fragt sich momentan doch eher, „wird das so weitergehen können?“, und die Antwort ist sicherheitshalber ein Nein. Wohin man blickt, herrscht ein Wegducken vor noch Schlimmerem, das aus einer bislang noch nicht so beachteten Ecke drohen könnte. Die Deutsche Bank mag so klug wirtschaften, wie sie will, sie mag übermäßige Risiken vermeiden und sie mag gelernt haben aus dem weltweiten Desaster – gegen gesamtwirtschaftliche Rückschläge wird sie nicht ankommen. Und so ergeht es dieser Tage jedem, der bescheidene Erfolge zu verkünden wagt. Die tatsächliche Krise ist noch nicht angekommen bei den Bürgern, auf der Straße oder an der Ladenkasse. Aber das Knirschen im Getriebe hört jeder. Die einzige solide gute Nachricht, die etwas drehen könnte, wäre etwa die: Das Großunternehmen A hat aufgrund guter Geschäftsaussichten eine Ausweitung seiner Kapazitäten beschlossen und dafür vom Bankenkonsortium BCD einen hohen Kredit erhalten. Mit Neueinstellungen will man sich auf die erwartete Nachfrage einstellen.

Wir werden das sicher mal lesen, eines Tages. Optimisten sagen, dieser Tag werde noch 2009 kommen, die anderen würden eher auf 2010 oder 2011 setzen. Die Finanzkrise erzeugt wie nebenbei eine massive Prognosekrise. Wann die vorbei ist? Man wagt da lieber keine Prognose.