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Robust oder tollkühn? Börsen auf Speed!

Brexit-Verhandlungen, EZB-Anleihenprogramm, Wahlen in Frankreich, Neuwahlen in Großbritannien: es kracht an allen Ecken. Doch all diese Turbulenzen ergreifen einen Sektor nicht, der aufgrund seiner Struktur eigentlich hypernervös zu sein hätte: die Börse. Der DAX, von wenigen Durchhängern abgesehen, hat die 12.000-Punkte-Marke solide überschritten und nach der Frankreich-Wahl sogar ein neues Allzeithoch erklommen. Wieso ist die Börse so stabil? Reinhard Schlieker analysiert.

BÖRSE am Sonntag

Brexit-Verhandlungen, EZB-Anleihenprogramm, Wahlen in Frankreich, Neuwahlen in Großbritannien: es kracht an allen Ecken. Doch all diese Turbulenzen ergreifen einen Sektor nicht, der eigentlich hypernervös zu sein hätte allein aufgrund seiner Struktur: die Börse. Der DAX, von wenigen Durchhängern abgesehen, hat die 12.000-Punkte-Marke solide überschritten und nach der Frankreich-Wahl sogar ein neues Allzeithoch erklommen. Wieso ist die Börse so stabil? Reinhard Schlieker analysiert.

Von Reinhard Schlieker

Jeden Tag das gleiche Bild, oder fast jedenfalls: Der Schrecken regiert den Politikteil der Zeitungen und die Nachrichtensendungen; in den Wirtschaftsspalten gibt es ominöse Warnungen und drohende Wolken. Was haben wir nicht alles zu überstehen gehabt, was droht uns nicht alles in allernächster Zukunft: Brexit-Verhandlungen und EZB-Anleihenprogramm, und zwar bereits in Prof. Sinns „Schwarzem Juni“. Radikale allerorten, das kam und kommt noch; Wahlen in Frankreich, die unter Umständen die EU erschüttern können sollen, und Neuwahlen in Großbritannien, das sich damit – und uns – die Zeit für einen klug ausverhandelten Brexit verkürzt.

Keine Vollständigkeit beabsichtigt: Alle weiteren ungenannten Turbulenzen ergriffen und ergreifen einen Sektor nicht, der eigentlich hypernervös zu sein hätte allein aufgrund seiner Struktur: Die Börse. Der Deutsche Aktienindex, von wenigen Durchhängern abgesehen, hat die 12.000-Punkte-Marke solide überschritten. Die Konjunkturzahlen für Deutschland lassen kaum Wünsche offen, die Prognosen ebensowenig. Vor allem die Autoindustrie läuft rund, wo selbst ein unter Dauerbelastung stehender VW-Konzern für das erste Quartal 4,4 Milliarden Euro Gewinn melden konnte. Die Deutsche Bank erholt sich, die Lufthansa leidet kaum unter der nun wirklich ernsten Konkurrenzlage am Himmel. In der Pharmaindustrie sieht die Pipeline besser aus als angenommen, eine Merck-Aktie bewegt sich zwar schwankend, aber unter dem Strich solide nach oben. Man möchte gern auch so eine Droge haben wie der DAX, oder geht es doch ganz ungedopt mit rechten Dingen zu?

Ein Indiz, dass die deutschen Unternehmen in der Tat weniger gefährdet sind als der notorisch betrübte Deutsche es gern annimmt, zeigen die Druckwellen aus dem Ausland. Die chorgestützt vorgetragenen Lamenti zu den deutschen Exportüberschüssen sind einerseits ein Ausdruck schönster Anerkennung, wie es wohl auch Bundesfinanzminister Schäuble versteht, der beim aktuellen Gipfeltreffen jedoch auch gern darauf verwies, dass Deutschland keine Staats- und Planwirtschaft kennt (ach, hätte er doch nur umfassend recht!).

Schäuble verwies auch darauf, dass die Politik der EZB den deutschen Verhältnissen kaum angemessen, von Berlin aus aber nur sehr begrenzt beeinflussbar ist. In der Tat ist die unbeschränkt weiterwirkende lockere Geldpolitik eine Art Speed für die einen, eine Einladung zum Schlendrian für die anderen. Diese Erkenntnis teilt nicht jeder, und sie wird durch Wiederholung leider nicht wirksamer in Hinblick auf einen Ausstieg aus der unnatürlichen Zinssituation.

In der Tat gibt es bezüglich des deutschen Exportüberschusses einen validen Hinweis: In einer Welt, die zumindest in weiten Teilen auf Angebot und Nachfrage setzt, herrscht eben nach bestimmten Dingen eine Nachfrage, nach anderen Dingen eher nicht. Warum nun etwa ein Daimler-Konzern die Auslieferung seiner Fahrzeuge international begrenzen sollte, oder deutsche Medikamente europaweit heimlich unter der Apo-Theke gehandelt werden sollten, erschließt sich niemandem, der noch bei Sinnen ist – Frau Lagarde wird es wohl begreifen, will oder darf es aber vermutlich nicht sagen. An der Kritik offenbart sich hingegen die Staatsgläubigkeit jener, die sie äußern, und es mag mit ein Grund für die nicht so gut aussehende Leistungsbilanz der Herkunftsländer eben dieser sein, die sich da kritisch vernehmen lassen, dass jene Staatsgläubigkeit genau das unternehmerische Handeln bremst, das man für einen überzeugenden Export nunmal braucht.

Wer sich – wie etwa die US-Autoindustrie – darüber beschwert, dass seine Produkte in manchen Weltgegenden nicht so beliebt sind, könnte ja mal darüber nachdenken, für Japan oder Großbritannien Fahrzeuge mit Rechtslenkung anzubieten. Es ist nicht Deutschlands Problem, dass man einen Opel, BMW oder Mercedes in dieser Ausführung kaufen kann überall dort, wo Linksverkehr herrscht. Arroganz und Saturiertheit also tragen dazu bei, schlechtere Geschäfte zu machen – welche durch Konkurrenz durchaus zu beleben wären. Im übrigen dienen deutsche Produktverkäufe im Ausland der dortigen Binnenkonjunktur – und das verdiente Geld der Exporteure wird zu einem sehr hohen Teil wieder im Ausland investiert. Wer darauf verzichten möchte, mag sich melden. Die Inhaber deutscher Aktien scheinen ganz zufrieden zu sein – sie sind übrigens mehrheitlich Ausländer.