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Virtuelle Krise

Die merkwürdige Ruhe, die viele im Lande zu beseelen scheint, wenn es um die herrschende Finanzkrise geht, bestätigt sich nicht nur dem Gefühl nach, sondern auch in Zahlen:

BÖRSE am Sonntag

In einer Studie hat die Investmenttochter der Volksbanken, Union Investment, die merkwürdige Diskrepanz festmachen können: Danach rechnen 64 Prozent der Befragten mit einer deutlichen Verschlechterung der Wirtschaftslage, aber nur 22 Prozent meinen, dies auch bezogen auf die eigene finanzielle Situation feststellen zu müssen. Das kann in der Realität natürlich so nicht stimmen – leider. Eine sich verschlechternde Wirtschaftslage ohne Auswirkungen auf die Lage des Einzelnen, das wäre mal eine segensreiche Erfindung. Noch immer scheint auch Optimismus für den Aktienmarkt zu herrschen. Zwar steigt die Zahl derjenigen, die mit fallenden Kursen rechnen, auf nun ein gutes Drittel. Aber eine ebenso große Gruppe ist der Meinung, man dürfe auf steigende Kurse hoffen. Es erscheint angesichts der Schlagzeilen des Wochenendes reichlich mutig, dies für die nächste Zeit zu erwarten. Immerhin gerät mit der Citigroup die bisher größte Bank der Welt in die Gefangenschaft staatlicher Hilfen. Und was die inzwischen staatlichen Hypothekenfinanzierer Freddie Mac und Fannie Mae in den USA an Verlusten angehäuft haben, übersteigt das, was zum Beispiel der deutsche Staat als Konjunkturpaket angerührt hat, bei Weitem. Das Beunruhigendste an den Verlustzahlen ist, dass sie im letzten Quartal 2008 noch einmal steil nach oben gingen. Das heißt:Der Ausgangspunkt der ganzen Misere, der amerikanische Hypotheken- und Immobilienmarkt, ist immer noch auf dem steilen Abwärtspfad. Wenn nicht einmal am Beginn der langen Kette eine Beruhigung sichtbar ist, wie sollen dann all die folgenden Dominosteine der Finanzwelt auch nur ansatzweise ein Fundament finden? Derlei Nachrichten allerdings hört der deutsche Konsument mit Empfindungen zwischen Desinteresse und wohligem Schauder. Sie betreffen andere. In der Tat hat der Normalbürger bisher kaum Folgen zu fürchten gehabt. Deutschland mit seiner staatlich organisierten Altersversorgung, seinen Sozialsystemen und außerdem stark reglementierten Versicherungsunternehmen, musste bislang auf dem Sektor, der die Mehrzahl der Bewohner betreffen könnte, kaum Schreckensnachrichten verkraften.

Auch die Beinahe-Pleiten von Banken wie Hypo Real Estate betraf und betrifft den Alltag höchstens am Rande, zumal der verrottete Bau ja immer wieder vonseiten des Staates am Einstürzen gehindert wird. Es ist eine virtuelle Krise, die da herrscht in Deutschland. Aber die Einschläge kommen näher. Erstmals zeigten die Arbeitslosenzahlen im Februar, wo es in naher Zukunft langgehen wird. Die Firmen kommen mit Kurzarbeit nicht mehr über die Runden, jetzt wird entlassen. Ein gefährliche Entwicklung, denn jeder Arbeitslose belastet die Volkswirtschaft doppelt – durch Kosten in den Sozialsystemen und durch ausfallende Steuer- und Konsumeinnahmen. All jenen, die auf Kurzarbeit ausgewichen sind, wird man irgendwann einmal profunde danken müssen. Derweil bleibt es die Tragik dieser Geschichte, dass gutes Geld in marode Unternehmen wie die HRE gesteckt werden muss, während es an anderer Stelle im Lande doch so dringend gebraucht würde – was könnte man damit an Infrastrukturmaßnahmen finanzieren, die Arbeitsplätze schaffen würden und am Ende noch den Standard des Landes insgesamt verbessern ... Schon aus diesem Grunde allein gebührt den Verantwortlichen jener Zockerinstitute die gesammelte Verachtung der Allgemeinheit, nichts anderes. Das wird sich noch deutlicher artikulieren, so ist zu befürchten, wenn die virtuelle Krise sich hierzulande in eine handfest spürbare gewandelt haben wird.