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Wenn Börsenstrategien versagen

Manchmal kann man es nicht richtig machen, egal was man tut. Solche Börsenzeiten sind derzeit eher die Regel als die Ausnahme – und wer gar nichts tut, liegt damit auch keineswegs immer richtig.

Manchmal kann man es nicht richtig machen, egal was man tut. Solche Börsenzeiten sind derzeit eher die Regel als die Ausnahme – und wer gar nichts tut, liegt damit auch keineswegs immer richtig.

Von Reinhard Schlieker

Seit Jahresbeginn 2022 hatten Anleger im Dax-Index Schwankungen von mehr als 3.500 Punkten zu verkraften. Wer in einen der Abschwünge hinein verkaufte, und in der Erholung wieder einstieg, steht heftig im Minus. Trotz aller gegenteiligen Empfehlungen, nämlich antizyklisch zu kaufen oder zu verkaufen, handeln Aktienfonds oft nicht danach und zeigen entsprechend keine berauschende Performance. Privatanleger können sich dem oft nicht entziehen. Über die Börsenstimmungen hinweg betrachtet, drückte zunächst die erwartbare Zinserhöhung in den USA mächtig auf die Stimmung, dann der russische Überfall auf die Ukraine. Kurzes Aufatmen an Tagen, an denen Verhandlungen stattfanden, dann wieder Enttäuschung, wenn es dort bestenfalls warme Worte gab, die Taten aber derweil immer abscheulicher wurden. Nun ist wieder Wirtschaft das Thema. Mit der in Deutschland rekordverdächtigen Inflation von über sieben Prozent werden auch Aktienanleger ihr Sachwert-Vermögen schwinden sehen, denn Unternehmen können dies kaum über Preissteigerungen ausgleichen, müssen mit sich verteuernden Krediten rechnen und natürlich mit schwindender Kaufkraft der Konsumenten. Da zehrt nicht nur die Geldentwertung, sondern vor allem eine weiter drohende Verteuerung von Energie. Also ist guter Rat teuer.

Wie man es nicht macht, hat unlängst die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz an die Wand gemalt. Als im Jahr 2021 noch Hoffnung das Grundprinzip war, sah man teils lächelnd über Mängel bei den Aktiengesellschaften hinweg. Das rächt sich – und die jährlich veröffentlichte Liste der Kapitalvernichter ist ausdrucksstark. Schlimm erwischte es Epigenomics, beileibe kein Newcomer, aber in den letzten fünf Jahren weniger durch Erfolge der biotechnologischen Krebs-Medikamentenforschung als vielmehr durch 98prozentigen Wertverlust hervorgetreten. Auch Anleger bei „Windeln.de“ waren komplett schief gewickelt – offenbar ist das Geschäftsmodell nicht ganz sauber. In fünf Jahren ein Minus von 99 Prozent, da ist kaum noch Luft nach unten. Umsatz fällt, Verlust steigt, Chef wirft hin – und die zum Pennystock verkommene Aktie machte im März unerklärliche Sprünge um mehrere hundert Prozent, in diesem Fall zwischen 91 Cent und gut drei Euro changierend. Laut Unternehmen gibt es dafür keine Erklärung im Geschäftsbetrieb – das wäre wohl auch mal eine Überraschung gewesen. Also eine Aktie, die zum Spielobjekt von Internetforen geworden ist, man kennt es mittlerweile.

Von 73 Euro ging es in diesem Jahr für den Textilversender Zalando („schrei vor Glück“) ins Unglück bei rund 45 Euro. Auch hier sind die heftigen Kursausschläge nicht jedes Anlegers Sache. Das Unternehmen muss immerhin nicht, wie Windeln.de, um eine auskömmliche Kapitalausstattung kämpfen. Dennoch ist die schmale Gewinnmarge anfällig für externe Schocks.

Ähnliche Stunden der Wahrheit sind für weitere Profiteure der Anti-Corona-Maßnahmen angebrochen. Delivery Hero und Hellofresh. Der rasante Abstieg im ersten Quartal ist jedoch nicht allein auf verlangsamtes Bestellinteresse bei dem Lebensmittel-Lieferdienst zurückzuführen. Starke Konkurrenz allerdings drängt ins Bild, wobei und worunter die Branche insgesamt leidet. Die rund 60 Prozent Börsenminus allein in diesem Jahr machen wenig Hoffnung, dass Delivery Hero auch nur irgendeine Resilienz aufgebaut haben könnte; gegen Inflation und Konsumenten-Zurückhaltung ist man nicht gewappnet. 144 Euro kostete das Papier mal 2021, jetzt ist man in der Gegend von 40 Euro angelangt. Ähnlich auch das trübe Bild des Hellofresh-Kochboxen-Imperiums. Die Verbraucher, die Bequemlichkeit über den Sparzwang stellen, bleiben wohl dabei, aber es gibt nicht genug von ihnen. Die Unsicherheit der Anleger findet keinen ruhenden Pol in der Firmenstrategie. In diesem Jahr ging es schon von 96 Euro auf die Hälfte herunter. Vor allem der „Lunch-Kühlschrank“, in Unternehmen aufgestellt und dort mit Snacks und Ähnlichem stets aufgefüllt, führt bei der Tochter Hellofresh-Go zum Insolvenzverfahren. Nur mit geringen Erwartungen an die Branche kann man sich vor allzu bitteren Enttäuschungen schützen.

Übrigens: Nicht alles ist ein Flop, was auf die „Kapitalvernichter“-Liste der DSW gerät. Denn dort tummelte sich aktuell auch die Deutsche Lufthansa, die Gründe dafür weitgehend nachvollziehbar. In Pandemie-, noch mehr in Kriegszeiten, leidet die zivile Luftfahrt naturgemäß. Wer von den Airlines genügend Rücklagen und ein anpassungsfähiges Management hat, dürfte die Krisen überstehen und womöglich zu einem starken Start ansetzen, eines nicht zu fernen Tages. Das wäre mal eine Nagelprobe des antizyklischen Investierens (ähnlich wie bei Thyssen Krupp, ebenfalls jüngst kein Börsen-Glanzlicht).

Was bleibt? Zum Beispiel die Erkenntnis, dass auch bei lange bekannten und an der Börse etablierten Biotech-Unternehmen wie Epigenomics oder auch Morphosys das Risiko einer Direktanlage jedem bewusst sein sollte. Ein ETF „Gesundheitsaktien“ puffert da manches ab. Außerdem: Vorsicht bei Internet-Memes, die dreistellige Prozentgewinne aufweisen. Wer nicht gerade minütlich den Kurs verfolgt, hat sicher das Nachsehen. Und: Wenn Neuemissionen in eine Zeit des Überschwangs fallen, darf man davon ausgehen, dass die Altinvestoren ihr eigenes Wohl sicher nicht hintanstellen, wenn es um die Emissions-Preisspanne geht. Da ist vielgeschmähtes süßes Nichtstun mal eine ertragreiche Beschäftigung.