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Technik-Aktien, wohin?

Abstürze finsterster Güte kennzeichnen dieser Tage das Schicksal gelobter wie kritisierter Technologie-Aktien gleichermaßen. Keine Gnade finden Große wie Kleine – es scheint fast, als sei das nun eine Art Strafe für Hochmut, der bekanntlich vor dem Fall kommt; und dieser Fall ist global und jetzt.

Abstürze finsterster Güte kennzeichnen dieser Tage das Schicksal gelobter wie kritisierter Technologie-Aktien gleichermaßen. Keine Gnade finden Große wie Kleine – es scheint fast, als sei das nun eine Art Strafe für Hochmut, der bekanntlich vor dem Fall kommt; und dieser Fall ist global und jetzt.

Von Reinhard Schlieker

Aller Erfahrung nach ist es ein bemerkenswertes Zeichen, wenn alles über einen Kamm geschoren wird: Gerade an der Börse und unter ernstzunehmenden Anlegern sollte man erwarten, dass differenziert wird. Zumal das in jedem halbwegs seriösen Aktienratgeber als Nonplusultra empfohlen, von jedem interviewten Fondsmanager geradezu als Selbstverständlichkeit hochgehalten wird. Das Schicksal des Nasdaq-Index, der die Woche tief im Minus abschloss, spricht dagegen Bände: Es ist schlichtweg nicht vorstellbar, dass bei derart pauschal abstürzenden Kursen eine nennenswerte differenzierte Betrachtung der enthaltenen Werte stattgefunden haben könnte.

Zum Wochenschluss etwa kamen Docusign unter die Räder – mit mehr als 24 Prozent Verlust. Das Unternehmen hatte seine Geschäftsaussichten minimal eingetrübter erläutert, und trotz der vorgelegten Zahlen (noch im Rahmen der Erwartungen) ging es bergab. Der Spezialist für elektronische Signaturen geriet also in den Abwärtssog, dessen Ausmaß man wohl nur erklären kann, wenn man den unglaublichen Anstieg des vergangenen Jahres in Bezug dazu setzt: Vor knapp einem Jahr erreichte das Papier mehr als 300 Dollar, zuletzt sackte man auf 65 Dollar ab. Ein Viertel weniger wert an einem Tag: Damit wären die nach dem Volksmund als reinigende Kraft genannten 20 bis 25 Prozent mehr als erreicht (20 Prozent Verlust waren da stets gemeint als Katharsis, nicht etwa Verluste bis auf 20 Prozent des vorherigen Wertes).

Trösten mag man sich bei Docusign mit der Tatsache, dass Giganten wie etwa Amazon in der bösen Börsenwoche ebenfalls und erneut unter die Räder kamen, so wie die meisten anderen Papiere etwa im Nasdaq 100. Der mittlerweile auf zahlreichen Feldern tätige Konzern hatte mit einem geplanten Aktiensplit seinen Kurs auf optisch günstigere 125 Dollar bereinigt, am Wert eines Portfolios änderte dies natürlich nichts – das Papier ist eben leichter handelbar als ein Einzelstück, das zwischen 2500 und 3600 Dollar kostete. Nun fallen die Verluste am letzten Handelstag von 5,6 Prozent auf nur noch knapp 110 Dollar natürlich ebenso ins Auge; insgesamt hat Amazon in der Woche zweistellig verloren. Wobei die Kriterien, nach denen derzeit die Hochtechnologie- und Internetwerte aus den Depots fliegen, auf Amazon eher nicht zutreffen: Weder benötigt der Konzern Kredite im nennenswerten Maßstab, so dass die kommenden Zinserhöhungen das Unternehmen nicht schrecken müssen (wenn auch dessen Kunden, wahrscheinlich).

Noch muss man ernsthaft ums Geschäftsmodell fürchten – denn sowohl die Cloudsparte als auch das Plattformgeschäft erlauben wohl in Zeiten der Inflation noch auskömmliches Wirtschaften, da zahlreiche Fixkosten des stationären Handels eben nicht anfallen. Was die Inflation angeht, die in den vergangenen vierzig Jahren in den USA nicht so hoch war wie nun Anfang Juni, so versenkt diese Sorte Flut nahezu alle Boote – denn mit schwindendem Geldwert haben sie alle zu tun, ob Ford, Walmart, Apple oder Pfizer. Nachdem nun aber amerikanische Investmentbanken, allen voran Goldman Sachs, die Geschäftsaussichten der dortigen Unternehmen insgesamt herabstuften, und die der Tech-Firmen eben ganz besonders, richteten sich die Anleger auf eine Rezession ein. Selten gelang es bisher nämlich, mit Zinserhöhungen eine Überhitzung mit Inflation so schonend ausklingen zu lassen, dass es ein Übergang zu ausgeglichener Wirtschaftslage gewesen wäre. Wer die Notenbankpolitik der vergangenen Jahrzehnte beobachtet hat, wird dies bestätigt finden. Sich auf ein düsteres Szenario vorzubereiten, scheint also das Gebot der Stunde. Wer als erstes die Zeichen zu deuten versteht, die womöglich andeuten, dass es gar so schlimm nicht kommen wird, wäre dann eines nicht allzu fernen Tages klar im Vorteil. Eine gewagte Wette wäre es, dies jetzt schon anzunehmen.