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BÖRSE am Sonntag | Ausgabe 09

AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE LEBENSART Ulrich Stephan Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank 17 BÖRSE am Sonntag · 09/17 Kolumne sondern in den Konsum und wenig rentable Investitionsprojekte floss. Insgesamt rutschten die Leistungsbilanzen Griechenlands und anderer südeuropäischer Länder dadurch immer weiter ins Defizit, während in den nordeuropäischen Ländern die Überschüsse stiegen. Konnten diese Versäumnisse bis zum Beginn der Finanzkrise durch immer neue Kredite überdeckt werden, wurden sie danach umso deutlicher spürbar. Das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Leistungsfähigkeit einiger südeuropäischer Länder, ihren Zahlungsverpflichtungen in Zukunft nachkommen zu können, schwand. Für die betreffenden Länder wurde es dadurch unmöglich, sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Zwar konnte die Zahlungsunfähigkeit durch Hilfsprogramme des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Union und der Europäischen Zentralbank verhindert werden. Das ursächliche Problem jedoch bleibt ungelöst: ihre geringe Produktivität im Sinne von Lohnstückkosten. Um diese zu steigern, bedarf es entweder sinkender Kosten, zum Beispiel durch niedrigere Löhne, oder zielgerichteter Investitionen und umfangreicher Strukturreformen – etwa für den Aufbau einer effizienteren Bürokratie, flexiblerer Arbeitsmärkte sowie eines Bildungssystems. Was also bleibt vom Euro? Sicher hat er auch positive Seiten: So ist die durchschnittliche Inflation in den Ländern der Eurozone im Vergleich zurzeit vor 1999 gesunken. Auch hat er das Reisen innerhalb der Eurozone und die Geschäftsanbahnung zwischen Unternehmen aus verschiedenen Euroländern erleichtert. Im Endeffekt jedoch haben sich die diskutierten Probleme manifestiert. Meines Erachtens ist es die Politik, die jetzt Position beziehen müsste. Statt nach mehr Europa und neuen Hilfsprogrammen zu verlangen, bedarf es endlich struktureller Reformen. Es werden Mechanismen benötigt, die die Disziplin innerhalb der Währungsgemeinschaft erhöhen, etwa in Form einer verlässlichen Insolvenzordnung für Staaten und Investoren. Das könnte innerhalb eines Staatenbundes geschehen, also des Zusammenschlusses souveräner Staaten, die gemeinsam Regeln aufstellen und sich strikt daran halten. Oder im Rahmen eines Bundesstaates, in dem die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der Mitgliedsländer tiefer integriert wäre, etwa in Form einer gemeinsamen Fiskalpolitik. Welche Lösung die praktikablere ist, hängt in erster Linie von der politischen Durchsetzbarkeit ab. Einen anderen Weg gibt es meines Erachtens nicht. Zwar haben wir in Europa Politiker, die die politischen Zeichen der Zeit zu erkennen scheinen. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie diese bei den anstehenden Wahlen abschneiden werden – und welchen Einfluss die Wähler europaskeptischen Kräften zugestehen. Für einen Abgesang auf den Euro besteht derzeit jedoch kein Anlass. Zu groß ist nach wie vor der politische Wille in weiten Teilen der Währungsunion, am Euro festzuhalten. Sollte sich eines Tages auch die Überzeugung dazugesellen, für den Erfolg unbequemere politische Entscheidungen treffen zu müssen, könnte der europäischen Gemeinschaftswährung durchaus eine erfolgreichere Zukunft bevorstehen.


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