Page 55

BÖRSE am Sonntag | Ausgabe 05

Preise macht der Anbieter, weil er weiß, was er braucht, weil er derjenige ist, der die Kalkulation im Griff haben muss. Das ist bei VW nicht anders als in jeder Kneipe an der Ecke. Todsünde 6: Das Kartellrecht ist rechtsstaatswidrig Und das in mehrfacher Hinsicht. Ganz generell kann man sagen, dass das Kartellrecht eine systemwidrige Einbruchstelle des amerikanischen Rechtssystems in das deutsche Rechtssystem ist. Das lässt sich leicht ablesen an der Höhe der Kartellbußen, die im Jahr 2014 einen Betrag von einer Milliarde Euro erreichten. So etwas gibt es in Deutschland schon aufgrund unseres Rechtsverständnisses sonst nirgendwo. Völlig abweichend vom deutschen Rechtssystem sind die neuerdings über die EU eingeführten Klagen auf Schadensersatz aufgrund angeblicher „Schäden“ durch Preisabsprachen. Seit mehr als einhundert Jahren fest im deutschen bürgerlichen Recht verankert ist der Grundsatz, dass Preise keine Eigenschaft eines Produkts sind, weil sie ja mit dem Abschluss erst realisiert werden. Außer im Fall von Wucher können Preise deshalb keine Gewährleistung oder sonstige Ansprüche auslösen. Mit diesem Grundsatz hat das importierte Kartellrecht fälschlicherweise aufgeräumt und für „überhöhte Preise“ Ansprüche auf Schadensersatz eingeräumt. Die Vorschrift ist sachwidrig, denn gibt es gar keinen Schaden. Zwar zahlt der Kunde mehr, aber der Mehrwert, die Wertschöpfung, kommt nicht nur dem Verkäufer, sondern der Volkswirtschaft insgesamt zugute, siehe BÖRSE am Sonntag · 05/18 Marktgeschehen 55 Todsünde Nr. 2, letztlich also auch dem Kunden als Einkommen – was sich allerdings nicht direkt zuordnen lässt. Der Schaden des zu niedrigeren Preises lässt sich aber sehr wohl und ganz direkt zuordnen, nämlich beim Verkäufer. Genau das ignoriert das Kartellrecht. Todsünde 7: Das Kartellrecht setzt eine lebensferne Verbraucher- Ideologie durch. Die soziale Marktwirtschaft stellt sich auf die Seite der Arbeitnehmer und verlangt von den Arbeitgebern seinen mehr oder weniger gerechten Anteil am Kuchen. Da wird der Kuchen nicht verkleinert – wie es zum Beispiel in den USA geschieht –, sondern nur anders verteilt. In Deutschland wurden vor dem ersten Weltkrieg von den Gewerkschaften die ersten Tarifverträge für die Arbeitnehmer erstritten, unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg, im Jahr 1918, wurde die Tarifvertragsverordnung erlassen und das Streikrecht legalisiert. Damit blieb den Unternehmen die Wertschöpfung erhalten, die in den USA durch das Preisdrücken, genannt Preiswettbewerb, vernichtet wurde und zur Verarmung führte. Nun konnten die Arbeitnehmer großzügig an den Erlösen beteiligt werden. Damit wurden nicht nur die Einkommen auf Dauer und in voller Breite angehoben, zugleich dynamisierte das breite Arbeitnehmereinkommen die Nachfrage nach den von ihnen erzeugten Produkten, was eine Spirale nach oben auslöste, den „Wohlstand für Alle“, den Ludwig Erhard lediglich beschrieben hat – erfunden hat das System nicht. Der kurze Abriss zeigt, dass wir mit dem Kartellverbot und seiner Verbraucherorientierung seit dem Jahr 1958, also nach dem Wirtschaftswunder (!), mit dem Kartellverbot einen Schwenk in Richtung Turbo- und Raubtierkapitalismus gemacht haben, der uns in den letzten Jahrzehnten immer öfter fragen lässt, ob wir überhaupt noch eine soziale Marktwirtschaft haben? Foto: © Štěpán Kápl - Shutterstock.com LEBENSART ROHSTOFFE AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN TRADING FONDS ZERTIFIKATE


BÖRSE am Sonntag | Ausgabe 05
To see the actual publication please follow the link above