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Wir brauchen
mehr Köpfchen
statt mehr Kupfer
Hildegard Müller, Vorstand der innogy SE, ist eine der Schlüsselfiguren der deutschen
Energiebranche.
Sie ist bestens politisch vernetzt, war Staatsministerin bei Angela Merkel
im Kanzleramt, führte jahrelang den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft
und hat sich nun auch einen Namen als tatkräftige Managerin gemacht.
Sie gilt für die Energiekonzerne als die Frau der Zukunft und denkt zuweilen schon mal
voraus. Für die Börse am Sonntag analysiert sie den tiefgreifenden Wandel der Branche
Es ist gar nicht so lange her, da erschien
uns die Energiewelt noch recht überschaubar:
Strom gelangte von den großen
Kraftwerken über gut ausgebaute Stromautobahnen
in die Städte und Gemeinden.
Anschließend sorgten die Verteilnetzbetreiber
dafür, dass die Energie rund um
die Uhr bei den Verbrauchern ankam. Der
Strom floss immer in eine Richtung, Rolle
und Aufgabe der Verteilnetzbetreiber waren
Die Energiewelt ist heute eine vollkommen
BÖRSE am Sonntag · 23/18
Standortbestimmung
über Jahrzehnte klar definiert.
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andere.
Auf den Stromautobahnen herrscht immer
häufiger Gegenverkehr, mehr als 1,6 Millionen
Wind-, Photovoltaik- und Biomasseanlagen
speisen ihren grünen Strom in die
deutschen Verteilnetze ein, mal mehr, mal
weniger, je nach Wetterlage und Tageszeit.
Mehr als 300.000 Anlagen sind allein
ans Verteilnetz von innogy angeschlossen.
Und: Aus dem Verbraucher wird zunehmend
ein Prosumer, der selbstbewusst und
selbstbestimmt Energie produziert, nutzt
und auch verkauft. Er speichert seinen
Sonnenstrom in der Batterie im Keller,
heizt sein Haus per Wärmepumpe und tankt das Elektroauto an
der Ladesäule in seiner Garage auf.
Die Energiewelt von heute funktioniert dezentral,
dekarbonisiert und digital.
Sie ist komplex, manchmal auch kompliziert, und die Rolle
der Verteilnetzbetreiber hat sich radikal gewandelt: Sie sind der
Dreh- und Angelpunkt dessen, was als Stromwende begann und
erst durch eine Kopplung mit den Sektoren Verkehr und Wärme
zu einer echten Energiewende werden kann. Werden muss. Die
Energiewende ist nur mit starken Verteilnetzbetreibern und ihren
Smart Grids – ihren intelligenten Netzen – zu meistern: Hier sind
95 Prozent aller Wind- und PV-Anlagen angeschlossen, hier vollzieht
sich der Ausbau der E-Mobilität mit rund 11.000 Ladepunkten
in Deutschland, Tendenz stark wachsend. Die Verteilnetzbetreiber
müssen immer mehr und immer dezentralere Lösungen
suchen – und finden sie auch.
Moderne Energieunternehmen finden sie über den Einsatz von intelligenter
IT. Der Weg in die Zukunft der Energieversorgung ist
ein digitaler und er erfordert oftmals Pionierarbeit. Der Ausgleich
zwischen schwankender Einspeisung und Verbrauchsspitzen auf
regionaler Ebene funktioniert nur über eine Digitalisierung der
Netze. Ein rein klassischer Netzausbau, der das System für sämtliche
Last- und Erzeugungsspitzen befähigt, ist volkswirtschaftlich
nicht sinnvoll. Erst durch intelligente Netze reduzieren wir den Bedarf
an Netzausbau und senken so die Kosten der Energiewende.
Hildegard Müller
Vorstand
Netz & Infrastruktur
der innogy SE