AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE LEBENSART
dringend notwendigen Innovationen umgesetzt und der klassische
Netzausbau auf ein effizientes Optimum beschränkt werden.
Erstens gilt es, das Subsidiaritätsprinzip zu stärken. In einem
dezentralen Stromsystem müssen auch Erzeugungsanlagen, Verbraucher
und Speicher im Verteilnetz mehr Verantwortung für die
Stabilität des gesamten Systems übernehmen. Der erforderliche
Ausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch von Energie sollte,
wie beschrieben, bereits auf der lokalen Ebene der Verteilnetze
erfolgen. Der rechtliche Rahmen muss daher angepasst werden,
um die Rollen der Stromnetzbetreiber bei der Steuerung auf den
verschiedenen Spannungsebenen nach dem Subsidiaritätsprinzip
zu stärken und klar zu definieren.
Zweitens müssen die politischen Rahmenbedingungen mehr Flexibilität
ermöglichen. Durch die intelligente Steuerung von Einspeisung,
Verbrauch und Speicherung können Stromnetze effizient
betrieben und ausgebaut werden. Der Zugriff auf Flexibilitäten soll
vorrangig mit Blick auf die Erfordernisse des Marktes erfolgen.
Wichtig dabei: Verteilnetzbetreiber sollten auf solche Flexibilitäten
netzdienlich zugreifen können, um Netzstabilität zu gewährleisten.
Und: Wir brauchen angemessene Flexibilitätsanreize, die eine optimale
Entscheidung zwischen Investitionen in den Netzausbau und
BÖRSE am Sonntag · 23/18
Standortbestimmung
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Flexibilitätsnutzung ermöglichen.
Drittens muss die Politik Intelligenz anreizen. Für eine Digitalisierung
der Verteilnetze und die Etablierung von Smart Grids sind
ebenso erhebliche Investitionen erforderlich wie für den immer
noch notwendigen Ausbau des Netzes. Beide Maßnahmen werden
die Basis für ein effizientes und sicheres Energiesystem schaffen.
Vor diesem Hintergrund muss die Investitions- und Innovationsbereitschaft
der Netzbetreiber nachhaltig gestärkt werden. Sie
müssen ausreichende Anreize erhalten, intelligente Technik einzusetzen,
um die Kosten für Netzausbau zu optimieren und somit die
Gesamtkosten für den Stromkunden zu senken.
Dies ist auch ein Dienst am Gemeinwohl und ein
Weg, Energiepreise bezahlbar zu machen.
Mit einem digitalen Verteilnetz und den zeitgemäßen politischen
Rahmenbedingungen wird auch eine der Mammutaufgaben zu
stemmen sein, die immer schneller auf uns zukommt: der Ausbau
und die Integration der E-Mobilität.
Klar ist: Selbst wenn 40 Millionen Fahrzeuge in Deutschland,
also fast der gesamte aktuelle Pkw-Bestand von rund 46 Millionen,
elektrisch betrieben würden, läge der Mehrbedarf an Strom
lediglich bei 16 Prozent. Das könnten die vorhandenen Netze
technisch verkraften. Aber: Die Herausforderung besteht darin,
eine große Zahl an gleichzeitigen Ladevorgängen zu vermeiden
und stattdessen das Nutzerverhalten zu koordinieren. So bietet
etwa die innogy-Tochter Westnetz Besitzern von E-Autos einen
kostenlosen Hausanschluss an falls sie damit einverstanden sind,
dass das Unternehmen den Ladevorgang über Nacht steuern darf.
Es wird geladen, wenn es für das System am günstigsten ist. Und
auch für den Kunden, weil an dieser Stelle die Netzentgelte für den
Ladestrom entfallen.
Aber nicht nur die Netze müssen dafür intelligenter werden, auch
die Elektrofahrzeuge müssen die erforderlichen Daten austauschen.
Doch leider fehlen noch klare politische Positionen zur Steuerbarkeit
von E-Fahrzeugen aus netzdienlicher Sicht sowie Anreize für
Kunden, sich netzdienlich zu verhalten. Ziel sollte es hier sein, ein
Smart Grid zu schaffen, das durch die intelligente Verknüpfung
von Daten eine Verteilung von Lastspitzen ermöglicht.
Die Lösung für die Integration der wachsenden E-Mobilität liegt
also im Zusammenspiel von klassischem Netzausbau und Smart
Grids, in dem Produzenten und Konsumenten miteinander kommunizieren.
Die Lösung liegt in einer Orchestrierung der Stromflüsse.
Die Verteilnetzbetreiber wollen das leisten, und sie können das
leisten. Sie stellen sich ihrer Verantwortung, müssen aber wirtschaftlich
in die Lage versetzt werden, weiterhin zu investieren:
in Infrastruktur und Digitalisierung. Und sie brauchen die Stadtwerke
und Kommunen als starke Partner, die ein sicheres Gespür
dafür haben, was das Beste für die Regionen ist, welche energiewirtschaftlichen
Maßnahmen den Menschen vor Ort wirklich
helfen. Nur im engen Verbund aus Energieunternehmen, Netzbetreibern,
Stadtwerken und Kommunen kann die Energiewende
zum Erfolg werden.
Hildegard Müller ist seit Mai 2016 als Vorstand Netz & Infrastruktur
der innogy SE tätig. Von Oktober 2008 bis Januar 2016 war sie
Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung im Bundesverband der Energie
und Wasserwirtschaft (BDEW). Zuvor bekleidete Sie das Amt
einer Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin, verantwortlich für
Bund-Länder-Koordination der Bundesregierung und Bürokratieabbau,
und war Mitglied des Deutschen Bundestages. Hildegard Müller
begann ihre Karriere in der Finanzwirtschaft: Nach einer Ausbildung
zur Bankkauffrau bei der Dresdner Bank AG und dem Studium der
Betriebswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität hatte Sie
verschiedene Positionen bei der Dresdner Bank AG inne.