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BÖRSE am Sonntag · 35/18
Gastbeitrag
26
Torsten Reidel
Geschäftsführer
von Grüner Fisher
Investments
Eine Frage
des
Zufalls
Jedes Medium hat seine journalistischen
Dauerbrenner, die regelmäßig
hervorgeholt werden, ohne
dass sie aus der Mode geraten. Bei
Frauenzeitschriften zum Beispiel
ist es die Diät im Frühjahr. Bei
Ratgeberzeitschri f ten gelten
Tipps zum Weihnachtsfest für
den richtigen Umtausch ungeliebter
Geschenke als Klassiker.
Und bei Börsenbriefen, Geldanlagemagazinen
und den Finanzseiten
der großen Tageszeitungen? Ist es
die Frage, wo denn wohl die Aktienkurse
am Ende eines Halbjahres
oder Jahres stehen werden.
Häufig fokussiert sich die journalistische
Dauerbrenner-Prognose in Wirtschaftssachen
auf das deutsche Börsenbarometer
DAX. Manchmal ist auch der Dow Jones-
oder der S&P 500-Index gefragt. In den
vergangenen Jahren fiel das Ergebnis dieser
Umfragen in etwa immer gleich aus: Die
Mehrheit der Anlageexperten erwartete einen
moderaten Anstieg der Kurse auf Sicht
der kommenden sechs oder zwölf Monate.
„Anleger blicken zurückhaltend auf die
Börse“ ist eine der typischen Überschriften,
die über solchen Artikeln dann prangte.
Wir bei Grüner Fisher Investments haben
stets einen differenzierten Blick auf diese
Prognosen geworfen. Für uns als unabhängiger Vermögensverwalter
kommt es vor allem darauf an, unseren Kunden den langfristigen
und nachhaltigen Anlageerfolg zu ermöglichen – unabhängig davon,
wie es kurzfristig an den Weltbörsen läuft. Sich an kurzfristig ausgelegten
Punktprognosen zu orientieren, ist dabei aus strategischer
Sicht also wenig sinnvoll. Um dennoch wichtige Erkenntnisse aus
diesen Informationen zu ziehen, ist ein genauerer Blick auf die Methodik
der Prognosen hilfreich.
Jeder professionelle Marktteilnehmer, der bereits selbst an einer
derartigen Umfrage teilgenommen hat, muss feststellen: Die Versuchung
ist groß, einen Punktestand zu nennen, der sich an der
historischen Durchschnittsrendite des zugrundeliegenden Index
orientiert. Das Risiko, mit dieser Prognose hoffnungslos daneben
zu liegen – und sich damit unweigerlich zu blamieren – erscheint
vergleichsweise gering. Zudem ist es ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen,
beispielsweise den Stand des Dax zum Jahresende exakt
vorhersagen zu wollen. Das Prinzip Zufall hält Einzug.
Historisch betrachtet zeigt sich jedoch: Die durchschnittliche Rendite
eines Aktienindex entsteht durch die Kombination extremer
Werte. Sprich: Bei einer Jahresperformance sind durchschnittliche
Werte selten, extreme Werte sind normal. Gerade bei relativ „schmalen“
Indizes wie Dax & Co. wird also die typische Volatilität in
diesen Prognosen einfach nicht berücksichtigt. Dementsprechend
liegt der aus den Umfragewerten generierte Marktkonsens in schöner
Regelmäßigkeit daneben.
Interessant ist dabei zu beobachten, wie viele Analysten und Banken
zumindest nach außen hin ihre Erwartungshaltung unterjährig anpassen.
Das typische Spiel läuft so: Gehen die Kurse im ersten Halbjahr
nach oben, werden die Prognosen zum Jahresende angehoben.