KULTUR ROHSTOFFE AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN TRADING FONDS ZERTIFIKATE Das
19. Jahrhundert
ist wieder da
Der Nationalstaat wird wieder Bezugsgröße, Tatmenschen und Gründerzeiten werden plötzlich gefeiert wie
1871 und alles fühlt sich nach Umbruch an. Ein neues Buch über Deutschlands einstigen Zuckerbaron liest
sich wie ein Spiegel der Zeiten
Das 19. Jahrhundert war jahrzehntelang verpönt - vordemokratisch,
unsozial, nationalistisch, imperialistisch, preußisch
heran marschierend. Als historischer Bezugsraum weitgehend
unbrauchbar, bestenfalls als abschreckendes Beispiel oder gar als
Präludium der Katastrophen im 20. Jahrhundert. Doch plötzlich
ändert sich der Blick auf das stählerne Jahrhundert. Die Kultur
entdeckt Romantik und Realismus neu, die Politik wird neonational
und in der Wirtschaft werden Gründerzeiten vom Silicon
Valley bis ins Perlflussdelta auf einmal gefeiert wie weiland
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1871 und folgende.
Insbesondere die Bilder von Fortschritt und Unternehmertum
wandeln sich auf bemerkenswerte Weise. Wurden Unternehmer
seit dem Kulturbruch von 1968 weithin als Kapitalisten, gierige
Manager oder Haifische im Meer der Globalisierung verunglimpft,
so wächst seit einiger Zeit ein neues Heldenbild unternehmerischen
Handelns heran. Insbesondere die Herolde der
digitalen Revolution, von Mark Zuckerberg bis Bill Gates und
Steve Jobs, sind neue, positive Ikonen heroischer Schaffenskraft.
Selbst Großkapitalisten wie Warren Buffet oder schillernde Angeber
wie Elon Musk werden bewundert wie seit den Gründerzeiten
des 19. Jahrhunderts keine Generation von Unternehmern
mehr.
Und so ist es kein Zufall, dass man plötzlich auch für die Gestaltungsmächtigen
des 19. Jahrhunderts ein neues, anderes Interesse
findet. Achsenschmiede der Geschichte, Männer, die herausragen
aus dem Strom der Umwälzungen, die Intelligenz mit Kapital bündeln
konnten, werden historiographisch wieder gewürdigt. Männer
wie Friedrich Krupp, Friedrich List, August Borsig, Werner
von Siemens, Friedrich Harkort oder Bethel Strousberg.
Nun ist auch eine völlig neuer Blick auf eine Leitfigur der deutschen
Agrarindustrie frei geworden. Preußens Zuckerbaron Ludwig
von Jacobs (1794 –1879 ist Untersuchungs- und Erzählsubjekt
einer opulenten Monografie, die jetzt im Münchner Ch.-Goetz-
Verlag erschienen ist. Herausgeber des Werkes ist Karl-Ludwig
Kley, Aufsichtsratschef von E-on und Lufthansa sowie langjähriger
Erfolgs-Vorstandsvorsitzender des Pharmakonzerns Merck.
Kley ist direkter Nachfahre des Zuckerbarons, doch das Buch ist
keine Heldenverehrung sondern eine tiefenscharfe Monografie und
Sittenstudie einer Epoche. Mit großer Eleganz in Machart und
Erzählstil liest sich das Buch wie ein schillerndes Panoptikum des
Unternehmerlebens im 19. Jahrhundert. Denn der enorme wirtschaftliche
Erfolg der neuen Großbürger stand zugleich in einem
latenten Spannungsfeld politischer Emanzipation. Von Jacobs war
nebenberuflich Abgeordneter im preußischen Parlament - und