AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE LEBENSART Geldpolitik in der
Zwickmühle
Die Europäische Zentralbank kämpft mit allen Mitteln für eine Inflation nahe zwei Prozent.
Doch trotz extrem expansiver Geldpolitik mit Null- und Negativzinsen sowie jahrelangen
Anleihekäufen verharrt die Inflation hartnäckig deutlich unter dem Zielwert.
Wenn die Inflation in den letzten Jahren
den Zielwert überhaupt einmal erreichte
oder überstieg, lag es vor allem am temporär
gestiegenen Ölpreis. Da die Waffen
Jörn Quitzau
der EZB ihr Ziel seit Jahren konsequent
verfehlen, ist zu überlegen, wie die Waffen
verbessert werden können. Oder müsste
gar das Ziel so verschoben werden, damit
die Zentralbank es besser treffen kann?
Warum hat die EZB kein Inflationsziel
von null Prozent?
Warum ist für die EZB das Preisniveau
bei einer Inflationsrate von „unter, aber
nahe zwei Prozent“ stabil, und nicht –
wie es naheliegend wäre – bei einer Teuerungsrate
von null Prozent? Der Grund
dafür ist, dass die EZB einen Sicherheitsabstand
braucht, damit das Preisniveau
nicht fällt. Bei Deflation, also fallenden
Preisen auf breiter Front, besteht die Gefahr,
dass die Verbraucher einen größeren
Teil ihres Konsums in die Zukunft
verschieben, um von den dann günstigeren
Preisen zu profitieren. Die daraus
resultierende Nachfrageschwäche kann
zu weiter fallenden Preisen und im ungünstigsten
Fall zu einer deflationären
Abwärtsspirale führen. Es ist zwar umstritten,
ob die befürchtete Kaufzurückhaltung
in der Praxis tatsächlich eine
große Rolle spielt, aber da Zentralbanken
die Deflation mehr fürchten als die Inflation,
ist schon die Möglichkeit einer Deflation
in jedem Fallernst zu nehmen.
Die Deflation bringt zudem ein handfestes
Problem mit sich: Sinken die Preise,
werden Schulden real aufgewertet. Es
fällt dann den Schuldnern – ob Privatpersonen,
Unternehmen oder Staaten –
schwerer, ihre Schulden zurückzuzahlen.
Überschuldungen drohen, die wiederum
gesamtwirtschaftliche Abwärtsspiralen
auslösen können. Zentralbanken streben
auch deshalb leicht positive Inflationsraten
36 BÖRSE am Sonntag · 22/19
Gastbeitrag
Volkswirt und Leiter des
Bereichs Wirtschaftstrends
bei Berenberg