AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE LEBENSART
bereits die Zähne ausbeißt, noch weiter
hochschraubt?
Eine Alternative dazu – worauf Olli
Rehn Bezug nimmt –wäre ein geldpolitischer
Strategiewechsel, weg von der Inflationssteuerung
hin zur Preisniveausteuerung.
Bisher versucht die EZB bei einem
Unterschreiten oder Überschreiten des
Zielwerts lediglich, die Inflation wieder
in Richtung des Zielwerts zurückzubewegen
(Inflationssteuerung). Sobald dies
gelungen ist, ist die Zentralbank wieder
im Plan, auch wenn die Preise zuvor über
einen längeren Zeitraum zu langsam
oder zu schnell gestiegen sind. Die zwischenzeitliche
Zielabweichung wird im
Nachhinein nicht korrigiert. Sobald es
der EZB also gelingt, die Inflationsrate
wieder in die Nähe von zwei Prozent zu
bringen und dort zu stabilisieren, würden
die zu niedrigen Inflationsraten der letzten
Jahre zu den Akten gelegt.
Anders wäre das Vorgehen bei der Preisniveausteuerung.
Hierbei müssten die über
Jahre zu geringen Inflationsraten dadurch
ausgeglichen werden, dass die Inflation
über einen gewissen Zeitraum über dem
Zielwert liegen, bis die Preise sich wieder
dem eigentlich angestrebten Niveau angepasst
haben. Durch das Inflationsziel von
knapp zwei Prozent pro Jahr wäre also ein
Pfad für das Preisniveau vorgezeichnet, auf
das die Zentralbank die Preise nach Zielverfehlungen
immer wieder zurückführen
40 BÖRSE am Sonntag · 22/19
müsste.
Inflationssteuerung
Die in den letzten Jahren zu niedrigen Inflationsraten
wären dadurch auszugleichen,
dass die Inflation für eine gewisse Zeit über
zwei Prozent steigen müsste. Die EZB würde den höheren Preisanstieg
bewusst laufen lassen, bis das Preisniveau wieder auf den
Pfad zurückgekehrt ist, der durch eine Zielinflation von knapp zwei
Prozent vorgezeichnet wurde. Die expansive Geldpolitik der EZB
würde in diesem Fall noch deutlich länger fortgesetzt werden müssen
als bisher allgemein erwartet wird.
Preisniveausteuerung
Die Strategie der Preisniveausteuerung hätte den Vorteil, dass die
Inflationserwartungen steigen würden. Nach der langen Phase
zu schwach steigender Preise müsste die EZB noch lange an der
äußerst expansiven Geldpolitik festhalten, um auf das eigentlich
deutlich höher angestrebte Preis-niveau zu gelangen. Allerdings
bleibt ein ähnliches Problem wie bei der oben diskutierten Erhöhung
des Inflationsziels auf beispielsweise drei Prozent: Wenn
schon das Ziel von zwei Prozent trotz größter Anstrengungen
nichterreicht wird, dann wird der Hinweis auf perspektivisch
noch höhere Inflationsraten nur bedingt glaubwürdig sein. Grundsätzlich
ist zu bedenken, dass die Preisniveausteuerung zu mehr
Volatilität bei den Inflationsraten und womöglich auch zu stärkeren
konjunkturellen Schwankungen führen würde. Zudem weist
die Bundesbank auf das Problem hin, dass das Konzept bisher
lediglich in Schweden in den dreißiger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts eingesetzt wurde. Somit gibt es kaum praktische
Erfahrungen, ob das angestrebte Ziel erreicht wird und wie die
Nebenwirkungen einzuschätzen sind.
Fazit
Für die EZB wird es weiter ein harter Kampf bleiben, die Inflationsrate
dauerhaft auf den Zielwert von „unter, aber nahe zwei
Prozent“ zu heben. Die Zielinflation deshalb zu senken –was sich
ökonomisch durchaus begründen ließe–, ist keine überzeugende
Option, weil die EZB damit ihre eigene Glaubwürdigkeit beschädigen
würde. Und der Versuch, die Inflationserwartungen nach
oben zu treiben – sei es durch eine höhere Zielinflation oder durch
die geldpolitische Strategie der Preisniveausteuerung – dürfte
scheitern. Die EZB wird deshalb wohl ihren Weg in den gewohnten
Bahnen fortsetzen und könnte lediglich mit ihrer Kommunikation
dazu beitragen, dass die zu niedrigen Inflationsraten
von den Marktakteuren und der Öffentlichkeit nicht als Makel
empfunden werden. Damit würde sie den auf ihr lastenden Handlungsdruck
reduzieren.