AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE LEBENSART Christine Lagarde
Sie wird die Geldpolitik von
Mario Draghi fortsetzen
Nach dem Willen der europäischen Staats- und Regierungschefs soll Christine Lagarde die Europäische
Zentralbank leiten. Eine Ökonomin ist die Grande Dame nicht – aber sie hat in ihrer Zeit als IWF-Chefin
bewiesen, dass sie zwischen verschiedenen Interessen vermitteln kann. Was bedeutet die Personalie für
die europäische Geldpolitik?
2016 wäre ihre Kariere beinahe beendet gewesen. Christine Lagarde
habe in ihrer Zeit als französische Finanzministerin eine Veruntreuung
öffentlicher Gelder ermöglicht, urteilte ein Pariser Gericht. Der
Gerichtshof sprach sie schuldig, verhängte aber keine Strafe. Wäre
Lagarde irgendeine Durchschnittspolitikerin gewesen, hätten sich
die 189 IWF-Mitgliedstaaten nach dem Schuldspruch wohl kaum
für den Verbleib ihrer Person als IWF-Chefin ausgesprochen. Doch
die Französin ist viel, aber sicher kein Durchschnitt. Nur zweieinhalb
Jahre später steht Lagarde vor dem Höhepunkt ihrer Kariere. Als erste
Frau soll die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) die
Europäische Zentralbank leiten – das haben die Staats- und Regierungschefs
der EU in Brüssel entschieden. Donald Tusk, Präsident des
Europäischen Rats, nennt die studierte Rechtsanwältin eine „perfekte
Nachfolgerin“. Die Amtszeit des jetzigen EZB-Chefs Mario Draghi
läuft bis Ende Oktober. Lagarde hatte im Personalpoker schon früher
eine Rolle gespielt, allerdings als Nachfolgerin für den EU-Kommissionspräsidenten
Jean-Claude Juncker. Wie Mitte der Woche bekannt
wurde, soll Ursula von der Leyen – aktuell noch Verteidigungsministerin
– diesen Posten übernehmen. Sicher ist das aber noch nicht.
Übernächste Woche muss sich von der Leyen im Europaparlament
zur Wahl stellen. Sie braucht eine absolute Mehrheit und darum wird
die in Brüssel geborene Politikerin kämpfen müssen.
Lagarde wäre die erste Frau und die erste Nicht-Ökonomin
an der Spitze der Europäischen Zentralbank
Christine Lagarde gilt als harte Verhandlerin, Alarmismus ist nicht
ihr Stil. Während Populisten Panik verbreiten, liefert die Grande
Dame – wie sie liebevoll genannt wird –
nüchterne Analysen. Scharfe Warnungen
der Französin klingen wie logische Verknappungen:
„Niemand gewinnt einen
Handelskrieg.“ Als Chefin des Internationalen
Währungsfonds musste sie stets
auf diplomatisches Verhandlungsgeschick
setzen – immerhin sind die USA, die ihre
Handelspartner chronisch mit Strafzöllen
provoziert, größter Geldgeber für die
multilaterale Superorganisation. Im Hinterzimmer
bringe die 63-Jährige aber entscheidende
Interessen durch, wie der niederländische
Ministerpräsident Mark Rutte
zu berichten weiß: „Ich kenne sie als tough
lady. Sie weiß, was sie will. Sie ist sehr klar
in ihren Ansagen“. Ihr Verhandlungsgeschick
kommt nicht von ungefähr. Lagarde
studierte Jura und machte in den USA Karriere
als Anwältin. Während der Weltwirtschaftskrise
machte sie als schwer aus der
Ruhe zu bringende Krisenmanagerin von
sich reden. Mit der Ernennung einer NichtÖkonomin
als EZB-Chefin werden nun
konservative Stimmen lauter, die sich an
ebenjenem Werdegang stören. Sie habe nie
in einer Volkswirtschaftsvorlesung gesessen,
08 BÖRSE am Sonntag · 27/19