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Gastbeitrag
Der Bullenmarkt ist tot –
lang lebe der Bullenmarkt!
Die an den Finanzmärkten vorherrschende Stimmung ist gedrückt: Handelspolitische Eskalationen und eine
inverse Zinsstrukturkurve in den USA gepaart mit schlechten Konjunkturdaten in Deutschland sind nur einige
der Themen, die bei Anlegern die Angst vor einer Rezession schüren. Diese Unsicherheiten spiegeln sich
auch in der Performance des DAX wider, der im August seinen tiefsten Stand seit März erreichte. Vielerorts
herrscht Aufregung um das vermeintliche Ende des längsten Bullenmarkts der Geschichte. Torsten Reidel,
Geschäftsführer von Grüner Fisher Investments, rät dazu, die vieldiskutierten Risikofaktoren genau zu beobachten
und erörtert, wieso deren Auswirkungen auf den laufenden Bullenmarkt überschätzt werden.
In seiner nun mehr als 10-jährigen Historie
hat der aktuelle Bullenmarkt schon das ein
oder andere Auf und Ab mitgemacht: Von
der Angst um eine Hyperinflation, über die
EU-Schuldenkrise mit wechselnden Protagonisten
und anschließender Insolvenz Griechenlands,
bis hin zum Dauerbrenner Brexit.
All diese belastenden wie ermüdenden Einflüsse
wirkten sich zwar kurzfristig – mitunter
deutlich – negativ auf die Marktentwicklung
aus, dennoch sind kräftige regionale
Bärenmärkte oder globale Korrekturen auf
lange Sicht in der anhaltenden Aufwärtsbewegung
36 BÖRSE am Sonntag · 35/19
untergegangen.
Schaut man sich die Entwicklung genauer
an, ist das eher gemächliche Tempo der
laufenden Hausse vor allem eins: auffällig.
Verglichen mit den vorherigen Bullenmärkten
seit 1974 liegt der aktuelle bei
vielen Performancekennzahlen weit unter
den Durchschnittswerten. Besonders langsam
entwickelt sich das durchschnittliche
Geldmengenwachstum M2, das jährlich bei
gerade einmal 4,4 Prozent liegt und damit deutlich geringer ausfällt als
die 20,4 Prozent früherer Bullenmärkte. Und auch in puncto jährlicher
Inflations- und BIP-Wachstumsrate hinkt er den Durchschnittswerten
seiner Vorgänger hinterher. Das langsame Wachstumstempo
dieser Werte ist zum einen auf eine veränderte Notenbankpolitik,
zum anderen auf die generell maue Entwicklung der Weltwirtschaft
zurückzuführen. Grundsätzlich wächst diese real zwar stabil, doch
geringes Geldmengenwachstum verursacht eine tendenziell eher
niedrige Inflation. Dennoch gilt: Positiv bleibt positiv. Der Markt hat
sich von negativen Erschütterungen bisher nicht aus der Bahn werfen
lassen, und an dieser Bilanz werden auch die aktuellen Unwägbarkeiten
erstmal wenig ändern. Viele der momentanen Probleme werden
schlicht überbewertet; ihr Gewicht ist letztendlich zu gering, um eine
Talfahrt an den Märkten auszulösen.
Mit Blick in die USA ist zunächst klarzustellen, dass die Inversion
der Zinsstrukturkurve kein zuverlässiger Rezessionsindikator ist:
Allein in diesem Jahr lagen die langen Bond-Renditen schon mehrfach
unter denen der kurzfristigen, ohne weitreichende Folgen
nach sich zu ziehen. Zwar kann auf eine Inversion mit zeitlichem
Abstand eine Rezession folgen, und schwierig wird es dann, wenn
die Kurve langfristig invers bleibt – dennoch taugt die Zinsstrukturkurve
nicht als genaues Timing-Instrument. Und allen aktuellen
Krisen zum Trotz läuft die US-Konjunktur wie geschmiert. Ihr
Torsten Reidel
Geschäftsführer von
Grüner Fisher Investments