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BÖRSE 46 am Sonntag · III | 2019
anschließend geregelt werden. Ziel ist ein
Regelwerk, das nachhaltiges Wachstum
im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen
der Vereinten Nationen und dem
Pariser Klimaabkommen ermöglicht.
Grundsätzlich sei das eine gute Sache,
doch dürfe dieses Label nicht auf den
Klimaschutz begrenzt werden, meint der
Leiter des Nachhaltigkeitsmanagements
bei der genossenschaftlichen Fondsgesellschaft
Union Investment Matthias
Stapelfeldt. „Man muss so ein Siegel so
aufstellen, dass Nachhaltigkeit allgemein
erfasst ist und dass auch eine Vielzahl
von Produkten darunterfällt, die auch
für den Anleger relevant sind, weil man
ansonsten etwas schafft, was eigentlich
nicht praxisfähig ist.“ Ein Beispiel verdeutlicht,
wie kniff lig das sein kann.
Denn es geht etwa um die Definition
von grünem Strom. Soll die scheinbar
klimafreundliche Kernenergie begünstigt
werden oder wegen ihrer ansonsten
hohen Umweltrisiken gerade nicht? Ist
Wasserkraft ökologisch gut, oder steht sie
in der Regel im Widerspruch zum Erhalt
natürlicher Lebensräume? Und wie grün
ist E-Mobilität, wenn das nötige Kobalt
für die Batterien von Kindern in Minen
abgebaut wird? Die Probleme der Unternehmensbeurteilungen
beginnen also
früh. „Es fehlt oft an Daten und Transparenz“,
erklärt Karsten Güttler von der
UBS. Der Experte erkennt große Unterschiede.
So liefern manche Unternehmen
nur spärliche Informationen, andere sehr
umfassende. Mit Blick auf Umfang und
Qualität der Angaben zählen Vonovia
und Merck zu den Spitzenreitern.
Immer mehr Großinvestoren fordern
von Unternehmen, die nicht nachhaltig
wirtschaften, tief greifende und schnelle
Reformen, frei nach dem Motto: Wer
der Umwelt – und unserer Gesellschaft
– systematisch Schaden zufügt, muss im
Ernstfall mit einem Boykott der Investoren
rechnen. Denn diese selbst sind
getrieben vom Druck der Kunden und
von immer strengeren Vorschriften der EU. So wird es für die
Banken hier schon bald ernst. Ab 2022 müssten die großen
Geldhäuser in der Eurozone ihre Umwelt- und Nachhaltigkeitsrisiken
offenlegen.
Sukzessive werden nachhaltige Investments Teil des öffentlichen
Diskurses. Was für die Gesellschaft eine gute Nachricht
sein sollte, könnte für die deutsche Industrie zum Problem
werden – vor allem dann, wenn die geplanten EU-Regeln zu
eng gefasst würden. Fast die Hälfte der 30 Dax-Unternehmen
zeigen „keine positive Wirkung für Gesellschaft, Wirtschaft
und Ökologie“, heißt es in einer Analyse des auf nachhaltige
Anlagen spezialisierten Schweizer Vermögensverwalters Globalance.
Die schlechtesten ESG-Performances zeigen RWE,
VW und Fresenius. BMW, Covestro, Fresenius Medical Care
und Continental arbeiten laut der Analyse ESG-neutral. Den
größten positiven Beitrag liefern Allianz und Munich Re. Auch
andere Untersuchungen wie von der Umweltschutzorganisation
World Wildlife Fund (WWF) zeigen, dass vor allem die
Branchen Energie, Auto, Chemie, Maschinenbau, Logistik,
Zement, Stahl, Gebäude und Konsumgüter vor großen Veränderungsprozessen
stehen. Und da im Dax eben jene Branchen
besonders stark vertreten sind, könnten strenge EU-Regeln die
Kursentwicklung des wichtigsten deutschen Aktienindexes negativ
beeinflussen. „Generell heißt das aber nicht, dass deutsche
Unternehmen im internationalen Vergleich rückständiger
sind“, meint Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate
Governance bei der Deka, und ergänzt: „Je weiter südlich
und östlich auf der Welt, desto größer der Nachholbedarf bei
Nachhaltigkeit.“
Nimmt man betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Argumente
zusammen, erscheint es logisch, dass nachhaltige Investments
den aktuellen, grünen Hype überleben werden. Erfahrungen
aus der Technologiebranche lehren, Regulierungen machen schon
frühzeitig Sinn – andernfalls erwacht die Branche irgendwann mit
einem fürchterlichen Kater. Doch laut der Süddeutschen Zeitung
könnten die Aktionspläne bereits an den Mitgliedstaaten scheitern.
So will unter anderem die Bundesregierung die Klassifizierung
nicht verpflichtend einführen. „Die Bundesregierung erachtet
freiwillige Standards zum jetzigen Zeitpunkt grundsätzlich besser
geeignet“, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium. Nicht allen
geht das schnell genug. Doch sollten all diejenigen auch auf dem
Zettel haben, dass ein grüner, nachhaltiger Wandel – gerade in
den Industriebranchen – Zeit, und ja, vielleicht auch Jobs kostet.
In einer Phase, in der immer mehr Ökonomen vor einer Rezession
warnen, könnten enge Regularien die Finanzmärkte schneller ins
Wanken bringen als gedacht. Das wäre alles andere als nachhaltig.
Florian Spichalsky