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Exklusivinterview
„Wir werden erst in zwei bis drei Jahren
auf Vor-Krisen-Niveau sein“
Der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher kritisiert im exklusiven Interview mit der
BÖRSE am Sonntag die fehlende Versorgungsstrategie der Bundesregierung und äußert Zweifel, ob alle
Länder „aus der Krise herauskommen werden“.
Herr Fratzscher: Ihnen als Präsident des Instituts für
Wirtschaftsforschung muss ganz schön mulmig werden,
wenn Sie auf die aktuelle Unordnung der Weltwirtschaft
28 BÖRSE am Sonntag · 17/20
blicken…
Ja, da ist etwas, das noch nie dagewesen ist – es gibt keinen Vergleich.
Natürlich werden immer Vergleiche herangezogen, zum Beispiel
die globale Finanzkrise 2008. Diese Krise war aber anders. Die
große Depression 1929 bis 1933 lässt sich auch nicht vergleichen,
ebenso wenig wie die Spanische Grippe oder der Weltkrieg. Egal wie
Sie es drehen und wenden: Es ist eine völlig neue Situation, weil wir
mit nicht gekannten Maßnahmen darauf reagieren müssen. Dieser
Shutdown ist ein Experiment, bei dem man nicht genau weiß, was
dabei am Ende rauskommt. Wir wissen nicht, wie es weiter gehen
wird. Und das bedeutet auch, dass jede wirtschaftliche Prognose
Stochern im Nebel bedeutet. Das sind lediglich Wenn-Dann-Analysen,
aber es ist unmöglich, eine Prognose für die nächsten zwei
oder fünf Jahre zu errechnen.
Wie bewerten Sie die jüngsten Lockerungen von Bund
und Ländern?
Ich halte die Entscheidung der deutschen Politiker für klug. Ich
halte sie für klug, weil sie ehrlich eingestehen, dass große Unsicherheit
existiert. Außerdem bewahren sie sich Flexibilität. Zu sagen
„wir fangen am 4. Mai erstmal an und dann muss man sehen wie
es weitergeht“ ist ein gutes Vorgehen. Klar, sehnen sich alle nach
Sicherheit, aber diese Sicherheit kann einem keiner in dieser Krise
geben. Die Entscheidung ist vorsichtig, klug und lässt Raum für
Flexibilität. Viele Menschen wünschen sich zwar, dass es schneller
ginge, aber eine zweite Infektionswelle wäre dramatisch. Ein erneutes
Runterfahren der Wirtschaft wäre nämlich nicht im Interesse der
Unternehmen, und auch nicht der Bürgerinnen und Bürger.
Welche Teile der Wirtschaft sollten denn jetzt als
nächstes wieder aktiviert werden?
Ich glaube, man darf diese Frage nicht primär aus Sicht der Wirtschaft
beantworten. Letztlich muss man gewährleisten, dass ein
Hochfahren der Wirtschaft von Dauer wäre – zumindest muss
dieser Ausblick gegeben werden. Ein Manko der politischen Antwort
ist sicher, dass es keine ausreichend gute Strategie zur Vorsorge
gibt, siehe Maskenpflicht, Testverfahren und Tracking. Also
wie kann überhaupt sichergestellt werden, dass es nicht zu neuen
Ansteckungswellen kommt. Menschen und Unternehmen müssen
wissen, wie sie sich verhalten können. Regeln, auf die sich Unternehmer
und Bürger einstellen können, sind da ganz wichtig.
Das sind dringende Punkte, die verbesserungswürdig sind. Was
Unternehmen und die möglichen Lockerungen angeht, bin ich im