AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE LEBENSART
einen 1,5 Billionen Euro schweren Fonds zum Wiederaufbau
nach der Krise ausgesprochen, Deutschland
und die Niederlande sind dagegen. Steht die Europäische
Union einmal mehr vor einer Spaltung?
Ja, denn wir beobachten einen ständigen Richtungskampf. Die
europäischen Finanzminister haben sich ja letzte Woche darauf
geeinigt, dass es einen Recovery Fund, also einen Wiederaufbau-
Fonds, geben soll. Man hat aber nicht festgelegt, wie groß der sein
wird, wie die Gelder verteilt und wie er finanziert werden soll. Ich
halte eine Größenordnung von 1,5 Billionen Euro aber durchaus
für eine realistische Summe – hier reden wir von rund 13 Prozent
der Wirtschaftsleistung der gesamten EU. Das ist ein ordentlicher
Betrag. Aber ich befürchte, dass dieses Geld nicht länger als drei
bis fünf Jahre ausreicht, um den Städten und Regionen zu helfen,
die am stärksten unter der Krise leiden.
Ist es denn realistisch, wenn wir jetzt Italien und Co.
mit Coronabonds wieder noch grade so über Wasser
halten, dass das gut ausgeht? Irgendwann können sie
Schulden wohlmöglich nicht mehr bedienen…
Es ist nicht sicher, dass alle Länder aus der Krise herauskommen.
Es ist auch nicht sicher, dass Deutschland da ohne Weiteres rauskommt
– das wissen wir einfach nicht. Eine Finanzkrise, eine
riesige Schieflage, ist denkbar. Das beste was jetzt getan werden
kann: Die Politik muss entschieden auf diese Krise reagieren.
Die Bundesregierung hat den ersten wichtigen Schritt mit den
Kreditgarantien gemacht – ein sehr starkes Programm. Die Logik
muss sein, dass alle europäischen Länder so vorgehen können. Nur
so verhindern wir eine tiefere Krise, sichern Arbeitsplätze, schützen
Unternehmen vor Insolvenzen und gewährleisten eine möglichst
schnelle Erholung. Und deshalb ist eine kluge Unterstützung der
stark betroffenen Länder wie Italien und Spanien extrem wichtig.
Nur so kann eine Schulden- oder Finanzkrise verhindert werden.
Man sollte aus den Jahren 2008 bis 2013 lernen und lieber sicherstellen,
dass die Staaten das Geld klug ausgeben.
Die USA verschuldet sich im Kampf gegen die Pandemie
massiv. Sehen Sie eine systemrelevante Gefahr, die
von dort für die ganze Welt ausgehen könnte?
Nein. Wir Deutschen haben eine Schuldenphobie, aber davon sollten
wir uns jetzt mal ein bisschen befreien. In so einer Krise ist der
Staat die letzte Instanz – der Einzige, der noch etwas Stabilität gewährleisten
kann. Und weder die USA, noch Deutschland müssen
sich Sorgen über die Staatsschulden machen. Das sollte wirklich
die kleinste unserer Sorgen sein.
Wie wird sich die Globalisierung verändern?
ch glaube nicht, dass diese Krise die Globalisierung verändern wird.
Ich erwarte, dass man die globalen Handelsstreitigkeiten – Trump
gegen China, Mexiko und Kanada, oder auch gegen die EU – beilegen
wird. Das ist in so einer Krise wirklich das allerletzte, das man
braucht. Jetzt muss man wieder aufeinander zugehen. Sicher wird
30 BÖRSE am Sonntag · 17/20
Foto: © picture alliance - imageBROKER
Menschenleer: Wie hier auf dem Markusplatz in Venedig sieht es in diesen Tagen vielerorts aus. Nun diskutieren immer mehr Länder über Lockerungen der strengen Corona-Maßnahmen.