ROHSTOFFE LEBENSART AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN TRADING FONDS ZERTIFIKATE
einen verstärkenden Effekt haben. Wenn dann eine Lawine an
Verkaufsordern ausgelöst wird, geht der Preis noch weiter nach
unten. Das verstärkt die Angst erneut, was dann auch Implikationen
auf den physischen Markt haben kann. Die Verunsicherung
war angesichts der vielen Hiobsbotschaften von der
Nachfrageseite ohnehin schon sehr groß. Und dann hat sie sich
durch die jüngsten massiven Preisturbulenzen noch verstärkt.
Der Preis für ein Barrel Brent erweist sich bislang
als deutlich stabiler. Ist es ausgeschlossen, dass
die Nordseeölsorte unter null Dollar sinkt?
Ausgeschlossen ist jetzt gar nichts mehr. Nach dem Crash am
Montag muss sich jetzt auch die ICE fragen, wie man mit diesem
Umstand umgehen kann. Kann man negative Preise stellen
und darf man das überhaupt? Und wenn ich einen negativen
Preis habe, kann ich unendlich viel davon kaufen? Mit jedem
Verkauf stiege ja mein Geld, das mir zu Verfügung steht. Kann
man also mit 1.000 Dollar hunderte Millionen Dollar bewegen?
Das ist nicht im Sinne des Erfinders. Es muss jetzt vieles
umgedacht werden. Doch noch gibt es für Brent genug Lagerkapazitäten.
Die Implikationen von negativen Brentöl-Preisen
48 BÖRSE am Sonntag · 17/20
allerdings wären noch stärker.
Warum?
Während WTI eine lokale US-Ölsorte ist, gilt der Brent-Ölpreis
als Messlatte für einen großen Teil der weltweiten physischen
Lieferungen. Außerdem nimmt man häufig Bezug auf
den Börsenpreis von Brent, wenn man Lieferkonditionen für
andere Ölsorten nimmt. So bietet beispielsweise Saudi Arabien
sein Öl Europa aktuell mit einem Abschlag von 10,25 US-Dollar
zum börsengehandelten Brentöl-Preis an. Das ist übrigens
ein ungeheuer hoher Rabatt. Nicht einmal als der Ölpreis bei
über 100 Dollar stand, hat Saudi-Arabien solche Konditionen
angeboten, sicherlich ein Effekt des Preiskriegs. Doch wenn
es jetzt tatsächlich hart auf hart kommt und der Preis für ein
Barrel Brent auf zehn Dollar fällt, dann müsste Saudi-Arabien
praktisch zu null Dollar liefern. Es braucht also keinen Ölpreis
von minus fünf Dollar, es reichen zehn Dollar plus.
Nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur
(IEA) sind womöglich schon Mitte des
Jahres alle verfügbaren Speicher voll. Was passiert
dann? Wohin mit dem überflüssigen Öl?
Das wird meines Erachtens so schnell nicht passieren. Klar sind
die Lagerkapazitäten sehr begehrt und begrenzt. Dazu macht
der günstige Preis langfristig denkende Kunden kreativ. Wo ein
Wille ist, ist auch ein Weg! China ist in der Lage binnen zehn
Tagen zwei Krankenhäuser für 1000 Leute zu konstruieren. Ein
Loch in einen Boden zu bohren, dauert wenige Tage. Das kann
man dann mit Metall abdecken und befüllen. Ein Öllager ist
kein hochkomplexes Konstrukt. Es ist schlichtweg ein Loch im
Boden mit einem Topf drin. Alle sagen, uns gehen die Kapazitäten
aus. Ich sage: Nicht ganz so schnell. Stellen Sie sich nur
die alten Schiffe vor, die vor sich hinschmoren, weil es keine
Nachfrage gibt. Die kann man auch mit Öl befüllen. Nur die
Zeit drängt jetzt natürlich. Doch bin ich mir sicher, dass der
„Markt“ auch für dieses Problem eine Lösung findet.
Was wird mittelfristig passieren? Wird die OPEC+
neue und weitreichendere Förderkurzungen
beschließen?
Ja. Sie müssen massiv kürzen. Sonst finden sie keine Abnehmer.
Man kann das Öl auf eigene Kosten bei sich oder anderswo
teuer einlagern, oder man muss kürzen. Dazu werden viele
Schieferölproduzenten in den USA zum Kürzen gezwungen,
weil ihnen das Geld für neue Quellen ausgeht.
Was lässt sich davon für die Preisentwicklung ableiten?
Die OPEC+ kommt machtlos daher.
Das liegt am Fracking. Die besten Zeiten der OPEC sind mit
dem Aufstieg des Schieferöls in den vergangenen zehn Jahren
zu Ende gegangen. Das Bündnis kann die Preise zwar immer
noch beeinflussen. Aber eben nur noch geringfügig. Die OPEC
funktioniert jetzt zwischen Preisen von 30 und 50 Dollar, das
ist alles. Der entscheidende Faktor ist langfristig die Schieferölproduktion.
Die OPEC wäre wohl in der Lage die Preise längerfristig
auf bis zu 50 Dollar steigen zu lassen, aber dann kommt
der Fracking-Boom zurück.
Glauben Sie daran, dass wir einen Preis von
50 Dollar früher oder später wieder sehen?
Früher nicht. Ohne große Probleme auf der Angebotsseite,
wie in Folge eines echten Krieges im Nahen Osten, kann ich
mir das kurzfristig nicht vorstellen. Zum einen wird sich die
Nachfrage in einer Rezession nicht schnell erholen. Zum anderen
wird ein Teil der Nachfrage, zum Beispiel seitens der
Fluglinien oder Cruise-Schiffen langfristig zerstört. Außerdem
wird es noch Jahre dauern, bis die gigantischen überschüssigen
Lagerbestände, die man jetzt aufbaut, wieder auf normale
Niveaus abgebaut werden. Aber 40 Dollar bis zum Ende des
Jahres, durchaus, ja.
Dann könnten Anleger doch jetzt darauf
wetten, oder?
Nein, bloß nicht. Finger weg! Zum einen sind die Preisschwankungen
für Privatanleger nicht auszuhalten. Man kann innerhalb
eines Tages ein großes Vermögen komplett verlieren, teilweise sogar
noch mehr als man besitzt. Jedem Anleger sollte das jetzt klar