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Angst
nach der Panik
Aus gewissen Kreisen ist zu hören, die Äußerung von Wirtschaftsminister Peter Altmaier am 16. März, wegen
Corona werde in Deutschland kein einziger Arbeitsplatz verlorengehen, sei am besten in der Schublade der
Politiker-Lügen aufgehoben. Das ist sicher hart, aber unfair.
Es war, nun gut, nur eine Woche vor dem „Lockdown“ – auch
so ein Anglizismus, der nicht in England erfunden wurde – aber
auch da konnte man sich ja schließlich noch irren ohne lügen zu
müssen. Was wiederum menschlich ist. Der tollkühne Mut aber,
der aus so einer Äußerung spricht, hat etwas Faszinierendes. Demgegenüber
konnte man zu jener Zeit im März bereits sehen, in
China sicherlich, aber auch in Südeuropa, dass in der Panik, die
jenes Virus auslöste, kaum ein Stein des gesellschaftlichen Lebens
auf dem anderen blieb, was wiederum Angst machte. Dass dies
ausgerechnet am Arbeitsmarkt völlig spurlos vorbeigehen könnte,
war für Deutschland längst nicht mehr anzunehmen. Trotz der
sozialen Segnungen, die unbestritten vieles abfedern, lässt sich mit
Kurzarbeit plus Unterstützung keine Nachfrage aus China oder
Italien herbeizaubern und kein Touristenbus chartern.
Jetzt, da überraschenderweise fast synchron rund um den Globus
in vielen Ländern und Regionen die Periode der strengen Kontaktsperren
und Ausgangsverbote sich dem Ende zuneigt, werden die
von vielen befürchteten wirtschaftlichen Folgen nach und nach
sichtbar werden. Manche Vorhersagen lassen sich an der Realität
nachprüfen: Zum Beispiel die Aussage mit den Arbeitsplätzen,
aber auch die, dass Europa eine solche Rezession wie die sich entwickelnde
noch nie erlebt hat. Vielleicht sollte man sagen, in der
Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, denn die zwanziger Jahre des
20. Jahrhunderts waren auch eher nicht erfreulich von Zeit zu
Zeit, und für die Vormoderne lassen sich gar keine vernünftigen
Vergleiche mehr anstellen, wo es über lange Strecken der Menschheitsgeschichte
gar nichts gab, was noch hätte einbrechen können
wie heutzutage eine Konjunktur (mancher träumt davon, dort wieder
hinzuwollen, siehe unten...).
Jedenfalls dürften als nächstes die bereits anhebenden Verteilungskämpfe
zunehmen: An den Börsen lässt sich bereits ablesen, welche
Branchen am ehesten sowohl eine eigene Zukunft als auch
genügend Steuerzahler-Starthilfe vor sich haben. Die Luftfahrt
gehört eher nicht dazu, die Autoindustrie
wohl schon. Viele Unbekannte sind in
diesen Gleichungen, die momentan für
weiterhin hohe Volatilität an den Aktienmärkten
sorgen. Für Stockpicker die riskante,
aber womöglich lohnende Wette auf
Branchen des nächsten Booms, den man
wohl irgendwann erwarten darf: Biotechnologie,
Pharma, Digitales und noch mehr
Digitales zum Beispiel. Misanthropische
Prophezeiungen wie die gern wiederholte,
dadurch aber nicht intelligenter wirkende
Behauptung, „nach Corona“ werde nichts
so sein wie vorher, feiern vor allem in
Deutschland eine Art Wiederauferstehung,
nachdem die Bürger fern liegende Panikgründe
zugunsten aktueller Angstzustände
haben abfallen lassen in der Gunst der
Stunde.
Aufgrund der menschlichen Natur dürfte
das meiste so sein wie vorher, genau wie die
verheerendere Spanische Grippe nach dem
Ersten Weltkrieg nicht viel änderte, jedenfalls
nicht zum Guten. So ist denn auch
folgerichtig bei den Propheten der Umwälzung
der Verhältnisse ein Hang zum Diktatorischen
auszumachen: In manischer
Regelungswut soll nun endlich die Ära des
Verzichts, des gründlichen gesellschaftlichen
Umwälzens und der wirtschaftlichen
Bescheidenheit anbrechen, genauer
gesagt: Armut (fast) aller als Konzept für
eine irgendwie nebulöse Neuordnung im
Einklang mit allem Möglichen, was der
04 BÖRSE am Sonntag · 19/20