AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE LEBENSART
Was läuft bislang falsch?
Aktuell fehlt unseren Unternehmen der
Mut neu zu denken und langfristige
Investitionen zu tätigen. Die meisten
Großkonzerne denken und handeln in
Quartalen, anstatt in Dekaden. Diese
Grundeinstellung muss sich ändern. Außerdem
brauchen wir bessere Bedingungen
für Innovationen seitens der Politik.
Viele großartige Ideen scheitern schon an
der Überregulierung unseres Landes.
Was muss sich dringend ändern?
Wir brauchen mehr Handlungsspielraum
für neue Ideen, größere Checks im
VC-Bereich und insgesamt mehr Kapital
für Tech-Startups, im Idealfall auch aus
staatlichen Töpfen. Wir müssen verstehen,
dass Tech-Startups ein wichtiger
Teil der Zukunft unserer Wirtschaft sind
und sie aktiv fördern. Im Vergleich zu
den Investitionssummen, die jedes Jahr
in den USA und China in die Forschung
und Entwicklung neuer Technologien
fließen, ist das, was in Deutschland und
Europa in diesem Bereich passiert, ein
Kindergeburtstag.
Trotzdem investieren Sie in
Deutschland und Europa.
Warum?
Weil mir die wirtschaftliche Zukunft
Europas am Herzen liegt und ich es mir
zur Aufgabe gemacht habe, mit meinem
Kapital und meiner Erfahrung hier zu
unterstützen.
Was sind denn nun klassische
10xDNA-Unternehmen, wie erkennt
man sie und was macht
sie aus?
Ein sehr gutes Beispiel ist Lilium Aviation
aus unserem Portfolio. Sie bauen
einen elektrisch betriebenen, senkrecht
startenden und landenden Jet, der 300
Kilometer weit fliegt und dabei bis zu
300 km/h erreicht. Er ist damit deutlich
effizienter als andere VTOL-Jets und
Flugtaxis im Markt. Möglich wird dies durch die 10xDNA der
Gründer: Sie haben sich nicht daran orientiert, wie Flugzeuge
heutzutage gebaut sind oder was andere Player im Markt machen,
sondern sie haben das Fliegen neu gedacht und damit
eine neue Technologie entwickelt, die 10x effizienter ist. Anfangs
wurden sie für verrückt erklärt, auch das gehört dazu,
wenn man eine 10xDNA hat. Deshalb ist es umso wichtiger,
dass man an seine eigene Vision glaubt, auch wenn es kein anderer
tut. Die größten Visionäre unserer Zeit wurden anfangs
alle belächelt oder für verrückt erklärt. Heute lacht kaum noch
jemand über Elon Musk oder Jeff Bezos. Sie haben erfolgreich
10xUnternehmen aufgebaut.
Wie würden Sie da die deutsche Autoindustrie
einordnen. Ist das Rennen gegen Tesla längst
verloren?
Ich befürchte ja. Natürlich wird es die deutsche Autoindustrie
weiterhin geben, aber das Rennen um die Mobilität der Zukunft
wird meiner Einschätzung nach Tesla oder ein anderer
neuer Player machen. Der Fortschritt, den Tesla im Bereich
Chips, Daten und in der Batterieforschung hat, ist leider kaum
noch aufzuholen. Ich glaube, die deutschen Autobauer hatten
ihren “iPhone Moment” bereits.
Sie warnen vor einem Europa als reinem Daten-
Exporteur. Was ist daran so gefährlich und wie
lässt sich gegensteuern?
Daten sind das wertvollste Asset der Zukunft. Entwicklungen im
Bereich KI, Automatisierung und Co. basieren auf großen Datenmengen
und wer diese Datenmengen hat, hat die Macht über
einen sehr, sehr großen Markt. Gerade in Deutschland stellen wir
uns mit der DSGVO selber ein Bein. Kleine Unternehmen und
Startups erhalten keine Daten, wir alle “müssen” aber Google,
Amazon, Facebook und co. nutzen und geben somit all unsere
Daten bereitwillig an die USA ab. Das muss sich dringend ändern.
Wenn Europa zum reinen Daten-Exporteur wird, geben wir dadurch
den kompletten KI-Markt an die USA und China ab.
Herr Thelen, ganz zum Schluss: Was macht eigentlich
glücklicher? Investieren oder Gründen?
Eine schwierige Frage. Beim Buch habe ich gemerkt, dass es
mir nach wie vor großen Spaß macht, ein Projekt selbst in der
Hand zu haben - deshalb auch der Eigenverlag. Dennoch bin
ich sehr dankbar für meinen Job als Investor. Ich darf tagtäglich
mit herausragenden Köpfen zusammenarbeiten, die
wirklich etwas bewegen können. Und ich darf sie mit meiner
Erfahrung und meinem Netzwerk unterstützen. Das bereitet
mir jeden Tag große Freude. Das Gespräch führte Oliver Götz
24 BÖRSE am Sonntag · 24/20