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Nikola: Technologieschub, live dabei
Wenn man wohliges Schaudern erleben will, sich
heute kaum vorstellbares Abmühen begreifbar machen
möchte und den kräftezehrenden Broterwerb vergangener
Jahrhunderte nachvollziehen will, dann besucht man
am besten ein altes Bergwerk, von denen es in Deutschland
zahlreiche gibt, gut gereinigt und beleuchtet für
Touristen von heute. Industriemuseen längst vergangener
Tage, in denen sich niemand vorstellen konnte, jemals
ohne Bergbau und Kohle und Stahl überhaupt existieren
zu können. Dort lässt sich Wegweisendes lernen,
darunter die Erkenntnis, dass nichts für die Ewigkeit ist,
und Fortschritt auch mal Sprünge macht.
Parallel zum Knochenjob unter Tage teils mit Techniken, die seit
der Antike unverändert geblieben waren, irrlichterte Ende des 19.
Jahrhunderts ein junger Kroate serbischer Herkunft durch Südosteuropa
und schließlich durch die Neue Welt: Nikola Tesla sammelte
Patente wie kaum ein anderer Zeitgenosse, während er ein
unstetes Leben führte und diverse Wolkenkuckucksheime sein
Eigen nannte, die er mitunter bei wohlgesonnenen Gönnern sogar
beleihen konnte. Aber verlassen wir den Elektroingenieur, der an
der Jahrhundertwende von Maschinen träumte, die drahtlos Energie
übertragen konnten, und wundern wir uns lieber über zwei
Firmen, die zusammen seinen Vor- und Nachnamen tragen und
sich doch eher spinnefeind sind: Nikola bekämpft Tesla, sozusagen.
Das Bessere also das Gute? Wir werden sehen.
In Zeiten wie diesen, in denen ein Virus, so mit das Archaischste,
was die Natur zu bieten hat, fast das Leben der Menschheit auf
der ganzen Welt in ungewohnte Bahnen zwingt, gedeihen im
Technologiesektor Blütenträume aller Art. Die Kapitalanleger haben
die US-Computerbörse NASDAQ in unerreichte Höhen katapultiert,
und selbst die Machtübernahme der Pessimisten in der zweiten
Wochenhälfte konnte so schnell nur wenig von dem wieder zunichte
machen, was die Euphorie zuvor aufgeschichtet hatte. Hauptträger
der Entwicklung waren allerdings jene Firmen, die man wahlweise
als Platzhirsche oder schon Old Economy bezeichnen kann: Alphabet,
Amazon, Apple zum Beispiel. Denen jedoch gemein ist, dass sie
ständig sich selbst und ihre Geschäftsfelder neu definieren. Etwas,
das zum Beispiel der Autoindustrie kaum gelingt. Ford baut Bestseller,
gewiss, wird aber von solchen Problemen geplagt wie nicht
funktionierende Türschlösser, und muss massenweise Fahrzeuge
zurückrufen. Da hat die Nikola Corporation gut lachen: Zurückzurufen
gibt es da nichts, aber die Börse bewertet das 2015 gegründete
Startup ähnlich hoch wie Ford, dessen Autos zu Zeiten Nikola Teslas
schon liefen („Sie können das Model T in jeder Farbe bestellen,
vorausgesetzt sie ist schwarz“ – Henry Ford).
Die Fusion von Nikola mit einer börsennotierten Kapitalgesellschaft
führte nun zu einem Börsenrun auf den hoffnungsfrohen Hersteller
aus Arizona, dessen Kurs sich seit dem 4. Juni vervielfachte und
viel Farbe ins muntere Börsengeschehen brachte. Wer Tesla für eine
unruhige Aktie hält, sollte sich Nikola näher ansehen. Der Hype
kannte dann gar keine Grenzen mehr, als Nikola ein stylisch aussehendes
Gefährt der Kategorie Pickup ankündigte, das nun in wenigen
Wochen schon vorbestellt werden kann; man hofft, es 2023 auf
die Straße zu bringen (für Feldwege viel zu teuer). Das, was Anleger
fasziniert, ist der geplante Antrieb: Nikola will den Güterlastverkehr
durch seine hybriden Wasserstoff- und Batterieantriebe revolutionieren.
Noch sind viele Fragen offen, aber die Pläne deuten wirklich auf
06 BÖRSE am Sonntag · 24/20
Foto © www.nikolamotor.com/badger
/badger