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Motiv befindet sich aber seit 2002 als Graffito
an mehreren Orten in London und auf zahlreichen
Kunstdrucken, Plakaten und Postkarten.
2017 wurde „Girl with Balloon“ zum beliebtesten
Kunstwerk in Großbritannien gewählt.
Entsprechend groß war das Aufsehen, als das
Objekt im Oktober 2018 für eine Million
Pfund (umgerechnet 1,2 Millionen Euro) von
einer nicht genannten europäischen Sammlerin
ersteigert wurde. Kurz darauf ereignete
sich eine der wohl spektakulärsten Aktionen
des Künstlers: Im Anschluss an den Zuschlag
ertönten vor allen Anwesenden Piepsgeräusche
und das Bild rauschte durch seinen dicken,
verschnörkelten Goldrahmen durch
einen versteckten Schredder nach unten. Der
Schnitt verlief so, dass etwa die obere Hälfte
des Gemäldes mit dem wegfliegenden roten
Ballon unversehrt im Rahmen blieb, während
die andere Hälfte mit der Figur des Mädchens
in schmale Längsstreifen zerschnitten aus dem
unteren Ende des Rahmens hing.
Banksy erklärte das halb zerschnittene Werk
zu einem neuen Kunstwerk und benannte
es kurzerhand um in „Love is in the Bin“,
übersetzt: „Die Liebe ist im Eimer“. Der
Künstler selbst bezeichnete seine Aktion als
Kritik am Kunstmarkt. Doch letztlich trug
seine Kritik nur noch mehr zum Kunstmarkt-
Hype bei. Alex Branczik, Experte für zeitgenössische
Kunst bei Sotheby’s, betonte damals,
mit der Schredder-Aktion habe Banksy
das Kunstwerk nicht zerstört, sondern ein
neues geschaffen: Das geschredderte Bild sei
„das ultimative Banksy-Kunstwerk und eine
wahre Ikone der jüngeren Kunstgeschichte“.
Und nach der Schnitt-Sensation titelte die
britische Zeitung „Daily Telegraph“: „Was
könnte mehr wert sein als ein Banksy? Ein
geschredderter Banksy!“ Die Zeitung behielt
recht. Vor der jüngsten Auktion 2021
schätzte Sotheby’s den Preis des zerteilten
Bildes auf vier bis sechs Millionen Pfund, 16
Millionen wurden es bekanntlich am Ende.
Der neue Eigentümer des Werks wurde nicht
bekanntgegeben.
Ähnlich zu Banksys Identität. Diese ist und
bleibt – trotz internationaler Berühmtheit
– noch immer ein Mysterium. Regelmäßig
bedient sich der Künstler der Taktik der
Foto © picture-alliance/ dpa/dpaweb | WEREK
Kommunikationsguerilla und platziert geschickt
über Nacht überall auf der Welt seine
Bilder an öffentlichen Orten. Seine Identität
hält der Künstler mit dem Pseudonym offiziell
geheim, sie ist wohl nur einer Handvoll
Vertrauter bekannt. Vermutlich handelt es
sich um einen Mann aus Bristol in England,
der laut Auktionshaus Sotheby‘s wohl 1974
geboren wurde. Bekannt wurde Banksy anfangs
mit Schablonengraffiti in Bristol und
London, ehe er durch seine Aufsehen erregenden
internationalen Aktionen weltberühmt
wurde. In seinen Werken greift Banksy gerne
alternative Sichtweisen auf politische, wirtschaftliche
und soziale Themen auf, die die
Menschen bewegen. Seine Anonymität trägt
zusätzlich zum Hype bei: Kaum ist irgendwo
ein neues Bild von ihm zu sehen, schreien die
Fans und der Kunstmarkt auf. Zum Beispiel,
als dieses Jahr ein Graffito auf der Mauer eines
ehemaligen Gefängnisses im englischen
Reading auftauchte, auf dem sich ein Gefangener
in Sträflingskleidung abseilt. Mit der
jüngsten Auktion bei Sotheby’s jedenfalls hat
der ungebrochene Banksy-Hype noch einmal
eine neue Dimension erreicht. Vera König