Aktien & Märkte
„IN KONTINENTALEUROPA
IST DIE AKTIENKULTUR
MANGELHAFT“
Im Interview mit der BÖRSE am Sonntag spricht
Gerhard Winzer, Chefvolkswirt Erste Asset Management,
über Inflationsrisiken im nächsten Jahr, erklärt,
warum
die EZB nicht eingreift, Deutsche wie Österreicher
trotz
Niedrigzinsumfeld Aktien scheuen und wieso eine
mögliche Systemkrise in China noch nicht vom Tisch ist.
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Inflationstreiber auf Engpässe zurückzuführen
sind, die in der Jahresvorschau abnehmen
werden. Natürlich gibt es Inflationsrisiken, die
auch der Zentralbank bewusst sind.
Wie hoch wird die Inflation künftig
ausfallen?
In der Eurozone liegt der Durchschnitt der
Inflation von Anfang 2010 bis 2021 bei rund
1,3% im Jahresabstand. Im Oktober 2021 lag
die Inflationsrate bei 4,1% p.a. Für das vierte
Quartal 2022 erwarten wir eine Inflationsrate
von 1,3% p.a. Langfristig betrachtet wird in
unserem wahrscheinlichsten Szenario die
Inflation bei rund 2% p.a. liegen. Das entspricht
dem Ziel der EZB. Für die im Vergleich
zur Vergangenheit höhere Inflationsentwicklung
gibt es drei Gründe: Erstens
hat China in den vergangenen 20 Jahren die
Güterpreise nach unten gedrückt. Dieser Effekt
könnte abnehmen. Zweitens schrumpft
die arbeitsfähige Bevölkerung in immer
mehr Ländern, wodurch das Lohnwachstum
ansteigen könnte. Langfristig betrachtet ist
Letzteres die wichtigste Bestimmungsgröße
für die Inflation. Drittens werden in absehbarer
Zeit auch die Preise für selbstgenutztes
Wohneigentum in der Inflationsberechnung
berücksichtigt werden.
Warum greift die EZB nicht ein?
Das hat zwei Gründe. Erstens befindet sich
die Wirtschaft in der Zyklusphase „(holprige)
Unterschätzt die Europäische
Zentralbank
(EZB) die Inflation?
Derzeit prognostiziert die EZB für das nächste
Jahr eine Inflation von 1,7% p.a. und für das
übernächste Jahr von 1,5%. Beim Ratstreffen
im Dezember werden diese Werte wahrscheinlich
nach oben angepasst werden. Die Inflationsentwicklung
liegt in diesem Jahr deutlich
über den Prognosewerten von Anfang 2021.
Dennoch werden im wahrscheinlichsten Szenario
die derzeit hohen Inflationsraten im Laufe
des nächsten Jahres sinken, weil die meisten
BÖRSE am Sonntag: Sparer haben
Angst um ihr Geld – Sie auch?
Die Zinsen liegen bei null Prozent. Bereinigt
um die Inflation, ist die reale Verzinsung deutlich
negativ. Auch wenn die Europäische Zentralbank
die Leitzinsen in den kommenden
Jahren anheben sollte, wird die Realverzinsung
wahrscheinlich negativ bleiben. Auch traditionelle
Sparer werden in Anlageformen gedrängt,
die eine höhere Verzinsung als Sparbücher
oder deutsche Staatsanleihen versprechen (z.B.,
Aktienfonds).
Inflationsraten Deutschland, Österreich und Euroraum Stand: 11.12.2021