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Vier Leitsätze für ein deutsches Konjunkturprogramm

Der Handelskonflikt, die ausufernden Brexit-Wirren und hausgemachte Versäumnisse der Autoindustrie kommen die deutsche Industrie teuer zu stehen. Es droht die Rezession. Worauf es jetzt ankommt und was sich ändern muss, erklärt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg-Bank.

BÖRSE am Sonntag

Der Handelskonflikt, die ausufernden Brexit-Wirren und hausgemachte Versäumnisse der Autoindustrie kommen die deutsche Industrie teuer zu stehen. Es droht die Rezession. Worauf es jetzt ankommt und was sich ändern muss, erklärt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg-Bank.

Deutschland droht eine Rezession. Die Handelskriege des Donald Trump, die ausufernden Brexit-Wirren und hausgemachte Versäumnisse der Autoindustrie kommen die deutsche Industrie teuer zu stehen. Während die privaten Verbraucher sich weiterhin über satte Einkommenszuwächse freuen können, sind Ausfuhr und Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen ins Stocken geraten. Nach einem Rückgang der Industrieproduktion um 5 % gegen-über dem Vorjahr in den Monaten Mai bis Juli deuten die weiterhin rückläufigen Auftragseingänge sowie die immer trübere Stimmung in den Chefetagen vieler Unternehmen auf ein leichtes Schrumpfen der Wirtschaftsleistung im zweiten Halbjahr2019 hin.

Braucht Deutschland deshalb ein großes Konjunkturprogramm?

Der Chor der Stimmen aus dem Ausland, die ein großes deutsches Fiskalpaket fordern, wird immer lauter. Selbst die Europäische Zentralbank hat bei ihrem jüngsten geldpolitischen Entscheid eindringlich gemahnt, die Fiskal-politik möge übernehmen, da die Möglichkeiten der Geld-politik begrenzt seien. Dank seiner satten Überschüsse im Staatshaushalt kann sich Deutschland einen Stimulus leisten. Bei negativen Zinsen für Bundesanleihen würden Anleger Deutschland sogar für das Aufnehmen neuer Schulden belohnen. Das allein reicht jedoch nicht aus, um einen spürbaren Schwenk in der Haushaltspolitik zu begründen.

Ein Konjunkturpaket muss vier Grundsätzen genügen

Es muss die Ausgangslage berücksichtigen. Es darf nicht die Schuldengrenze des Grundgesetzes verletzen, die zu den größten wirtschaftspolitischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte gehört. Alle Mehrausgaben müssen auch langfristig Sinn machen. Mehrausgaben des Staates oder Steuersenkungen müssen da ansetzen, wo es konjunkturbeding freie Kapazitäten gibt.

Ein Versuch, die Ausgaben kurzfristig in Bereichen hochfahren zu wollen, die bereits jetzt durch Personal-oder Planungsengpässe eingeschnürt sind, würde der Konjunktur nichts bringen. Es würde sich höchstens in höheren Preisen ausdrücken. Zunächst zur Ausgangslage. Die deutsche Fiskalpolitik ist bereits seit Jahren auf Expansionskurs. Seit 2015 steigen die öffentlichen Investitionsausgaben rapide an, im ersten Halbjahr 2019 sogar mit einer nominalen, also nicht preis-bereinigten Rate von 10,6 % gegenüber dem Vorjahr. Dazu kommen erhebliche Mehrausgaben in anderen Bereichen wie dem Gesundheitswesen sowie ein kräftiger Anstieg der Renten im Juli 2019 um etwa 3,4 %. Bereits für 2019 summieren sich die fiskalischen Impulse auf 0,3 Prozentpunkte unserer Wirtschaftsleistung.

Einschließlich der für Klimaschutz und Kohleausstieg geplanten Nettoausgaben erreicht der Stimulus im kommenden Jahr vermutlich 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts. Das kann sich durchaus schon sehen lassen. Ähnlich wichtig wie diese geplanten Ausgabenzuwächse sind die automatischen Stabilisatoren, die vor allem ins deutsche Sozialsystem eingebaut sind. Gerade im Ausland wird deren Umfang häufig unterschätzt. Ohne dass es eigens beschlossen werden müsste, dürften die Ausgaben für das Kurzarbeitergeld in den kommenden Monaten erheblich steigen. Angesichts eines ausgeprägten Fachkräftemangels werden viele Unternehmen versuchen, ihre Stammbelegschaft in schwierigen Zeiten zu halten. Stattdessen wer-den sie die Auftragsflaute durch Kurzarbeit und das Aus-laufen von Zeitarbeitsverträgen abfedern. Das dürfte auch für viele der besonders arg gebeutelten Zulieferer der Automobilindustrie gelten. Während die Zahl der Beschäftigten selbst im großen Krisenjahr 2009 nur minimal sank, erreichte die konjunkturell bedingte Kurzarbeit damals einen Höhepunkt von 1,44 Millionen im Mai 2009. Bisher ist die Kurzarbeit nur geringfügig gestiegen, von knapp 12000 im April 2018 auf gut 46000 im Juni 2019. Für den Herbst und Winter zeichnet sich ein kräftigerer Anstieg der Kurzarbeit von möglicherweise mehreren Hunderttausend Arbeitnehmern ab.

Im Jahr 2009 haben die staatlichen Mehrausgaben für die Kurzarbeit von etwa 6 Milliarden Euro (0,25 % des BIP) direkt die Konjunktur gestützt. In deutlich geringerem Umfang dürfte es diesen Effekt auch diesmal geben. Noch wichtiger ist jedoch, dass die Kurzarbeit viele Entlassungen verhindert, auch wenn es bei der Zeitarbeit dennoch dazu kommen sollte. Da Arbeitnehmer deshalb bei uns weniger Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes haben müssen als in anderen Ländern, bleiben bei uns das Verbrauchervertrauen und der private Konsum selbst in der Rezession wesentlich stabiler als andernorts. Angesichts einer ohnehin expansiven Fiskalpolitik und der eingebauten Puffer wie des Kurzarbeitergeldes sind die Argumente für einen großen Fiskalimpuls weniger überzeugend, als es zunächst den Anschein haben mag.

Richtig und falsch zugleich

Das gilt vor allem für die nahezu gebetsmühlenhaft wiederholte Forderung, Deutschland solle seine öffentlichen Investitionen ausweiten, um die Konjunktur zu stützen. Diese Forderung ist richtig und falsch zugleich. Richtig ist, dass wir mehr öffentliche Investitionen brauchen. Aber für ein Konjunkturprogramm, das eine kurzzeitige Schwäche der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zeitnah abmildern soll, eignen sich öffentliche Investitionen nicht. Mangels freier Kapazitäten gibt es für mehr öffentliche Investitionen kurzfristig nur einen geringen Spielraum. Lange Planungs- und Gerichtsverfahren sowie ein Mangel an geeigneten Fachkräften verhindern einen noch schnelleren Zuwachs der staatlichen Investitionsausgaben. Woher sollten plötzlich all die Handwerker kommen, um alle deutschen Schultoiletten im Schnelldurchgang zu modernisieren? Deshalb ist es wichtig, den Zuwachs der staatlichen Investitionen langfristig anzulegen. Wenn Unternehmen sich darauf verlassen können, dass der Staat unabhängig von der aktuellen Konjunktur seine Investitionen hochfahren wird, werden sie eher bereit und in der Lage sein, ihre Kapazitäten entsprechend aufzubauen. Bereits jetzt steigen die Preise für staatliche Investitionen um 4,2 % gegenüber dem Vorjahr. Ein Versuch, rasch noch viel mehr Geld auszugeben, würde vermutlich überwiegend zu höheren Kosten führen, ohne die Investitionen im Jahr 2020 nennenswert anzuheben.

Die Konjunkturschwäche betrifft vor allem die deutsche Industrie, insbesondere die Automobilindustrie und den Maschinenbau. Hier gibt es freie Kapazitäten. Im Bau ist dies nicht der Fall. Um die Rezession zielgerichtet abzufedern, ohne Geld zu verschwenden, wären deshalb vor allem vier Maßnahmen sinnvoll:

1. Mehr Anreize für private Investitionen. Eine teilweise Sofortabschreibung von Ausrüstungsinvestitionen kann Unternehmen ermutigen, geplante Investitionen zeitlich vorzuziehen. Dies kann dem Maschinenbau ein wenig helfen Allerdings dürfte der Effekt auf die Investitionstätigkeit angesichts der großen Unsicherheit über das außenwirtschaftliche Umfeld begrenzt bleiben.

2. Abwrackprämien für dreckige Autos. Dies ist klima-politisch ohnehin gewünscht. Die entsprechenden Anreize im Klimapaket lassen sich ausweiten. Selbstverständlich würde die Mehrnachfrage nicht nur deutschen sondern auch ausländischen Anbietern zugutekommen.

3. Kurzarbeitergeld zeitlich begrenzt aufstocken. In einer Rezession dient das Kurzarbeitergeld als wichtiger Puffer. Hier bietet es sich an, die Bedingungen für Arbeit-nehmer und Arbeitgeber bis Ende 2020 weiter zu verbessern. Das kann dazu beitragen, den Rückschlag für die Einkommen der Arbeitnehmer und für ihre Ausgabenbereitschaft einzugrenzen. Die politische Diskussion geht bereits in diese Richtung.

4. Steuern senken. Die große Koalition will den Solidaritätszuschlag 2021 etwa zur Hälfte abbauen. Konjunkturell wäre es besser, diesen ohnehin geplanten Schritt auf 2020 vorzuziehen. Ob das Bundesverfassungsgericht das teilweise Fortbestehen dieses Zuschlags billigen wird, steht in den Sternen. Ein Ausweg könnte sein, den Zuschlag bereits 2020 für gut 90 % der Steuerzahler abzubauen und gleichzeitig einen Zeitplan für das endgültige Ende dieser von ihrer Natur her zeitlich begrenzten Sondersteuer ins Gesetzbuch zu schreiben. Mit einem solchen Maßnahmenpaket wäre die schwarze Null im Bundeshaushalt für 2020 nicht zu halten. Aber in einer Rezession muss der Haushalt atmen können. Die weniger engen Vorgaben der Schuldenbremse, die auch Spielraum für konjunkturbedingte Fehlbeträge lassen, würde der Bundeshaushalt auch damit noch einhalten können.

Langfristig zählen andere Faktoren

Jenseits aller Überlegungen zur kurzfristigen Konjunkturpolitik sollte die Wirtschaftspolitik aber vor allem eines beherzigen: Rezessionen dauern zumeist nicht sehr lange. Langfristig zählen andere Faktoren. Um Deutschlands Wohlstand nachhaltig zu sichern, sollte die Bundesregierung zu einer wirtschaftsfreundlichen Standortpolitik zurückkehren, die privatwirtschaftliche Investitionen ermutigt. Mehr Bauland im Umfeld der Ballungszentren, schnellere Planungsabläufe und weniger Eingriffe in den Wohnungsmarkt könnten zudem den privaten Wohnungsbau stützen und der Mietinflation entgegen wirken. Das würde auf Dauer mehr bewirken als jedes kurzfristige Konjunkturprogramm.