Brexit-Angst: US-Aktien als sicherer Hafen?
Ein Blick auf die Neuverschuldung der US-Unternehmen dürfte die durch den Brexit ohnehin schon tiefen Sorgenfalten auf Anlegerstirnen noch vertiefen: Die 1.500 größten Konzerne der USA haben in den zwölf Monaten bis zum Ende des dritten Quartals 2015 netto insgesamt 574 Milliarden US-Dollar neue Schulden aufgenommen – ein historischer Höchstwert. Diese Zahlen lesen sich umso besorgniserregender, wenn man zum Vergleich die Zunahme des Schuldenbergs während der Dotcom-Blase 2000 und kurz vor der Finanzkrise 2008 betrachtet. Wie schwer wiegt dies im Angesicht des drohenden Brexit? Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, analysiert.
Bereits ein flüchtiger Blick auf die Neuverschuldung der US-Unternehmen dürfte einigen Anlegern Sorgenfalten bereiten: Die 1.500 größten Konzerne der USA – ohne die Finanzbranche! – haben in den zwölf Monaten bis zum Ende des dritten Quartals 2015 netto insgesamt 574 Milliarden US-Dollar neue Schulden aufgenommen. Das ist ein historischer Höchstwert für einen 12-Monats-Zeitraum. Diese Zahlen lesen sich umso besorgniserregender, wenn man zum Vergleich die Zunahme des Schuldenbergs während der Dotcom-Blase 2000 und der Finanzkrise 2008 betrachtet.
Von Ulrich Stephan
Kurz vor der Finanzkrise 2008 lag die Netto-Neuverschuldung der größten US-Unternehmen mit 275 Milliarden beziehungsweise 340 Milliarden US-Dollar deutlich unter den aktuellen Werten. Doch ist die Verschuldungssituation amerikanischer Unternehmen tatsächlich so bedenklich, wie die Zahlen auf den ersten Blick vermuten lassen?
Tieferer Blick für genaues Bild
Betrachtet man hingegen den Schuldenstand nicht separat, sondern in Relation zur Profitabilität und den Vermögenswerten der Unternehmen, ergibt sich ein deutlich positiveres Bild. So hat sich das Verhältnis zwischen der Netto-Neuverschuldung und dem operativen Gewinn der Unternehmen seit einem Tief im 4. Quartal 2011 verbessert. Dieses lag zum Ende des Jahres 2015 jedoch weiterhin unter dem 30-Jahres-Durchschnitt sowie deutlich unter den historischen Höchstwerten. Analog verhält es sich bei dem Vergleich des Schuldenwachstums mit den Vermögenswerten, also den in der Bilanz erfassten Gebäuden, Anlagen oder Maschinen.
Zinslast deutlich gesunken
Entscheidender als die Verschuldungsquoten ist ohnehin die ausgeprägte Fähigkeit der US-Unternehmen, ihre Verbindlichkeiten bedienen zu können – also Zins- und Tilgungszahlungen zu erbringen. Dabei profitieren sie aktuell stark vom niedrigen Zinsniveau: Der Anteil der Zinsaufwendungen an der Gesamtverschuldung liegt derzeit bei lediglich 3,9 Prozent – 1985 waren es noch 10,5 Prozent.
Größere Risiken durch Verschuldung nicht in Sicht
Auch wenn einzelne Unternehmen unter Druck geraten könnten: Zusätzliche Risiken dürften von der Netto-Neuverschuldung der US-Unternehmen für die Aktienmärkte aktuell nicht ausgehen. Zumal sich ein Großteil der Verbindlichkeiten auf wenige, bonitätsstarke Unternehmen mit entsprechend geringen Ausfallrisiken konzentriert: Allein 16 Unternehmen stehen für 50 Prozent des gesamten Schuldenwachstums. Nichtsdestotrotz sollten Anleger die Verschuldung der Konzerne weiter im Auge behalten. Denn wenn die Zinsen und mit ihnen die Kreditraten in Zukunft spürbar anziehen sollten, könnten die Risiken für den US-Aktienmarkt zunehmen. Davon ist aktuell jedoch noch nichts zu spüren: Amerikanische Unternehmen haben ihre Schulden derzeit im Griff. Die Deutsche Bank sieht die hohe Neuverschuldung der US-Unternehmen daher insgesamt eher als Zeichen eines effizienten Managements der US-Unternehmen – und weniger als einen akuten Risikofaktor.
Dr. Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.