Brexit bedroht Börsenfusion
Die Fusionspläne von Deutscher Börse und der London Stock Exchange werden immer konkreter. Frankfurt adieu? Der offizielle Sitz Nr. 1 soll an der Themse sein. Doch der „Brexit“ wird zum Risikofall. Erst am 24. Juni wird hier Klarheit herrschen. Optimistisch zeigt sich dagegen der Chef der Deutschen Börse AG, Carsten Kengeter – zurecht?
Die Fusionspläne von Deutscher Börse und der London Stock Exchange werden immer konkreter. Frankfurt adieu? Der offizielle Sitz Nr. 1 soll an der Themse sein. Zunehmend rückt derweil der „Brexit“ wird als Risikofall ins Blickfeld. Erst am 24. Juni wird hier Klarheit herrschen, doch Börsenchef Kengeter spricht schon jetzt große Worte.
Eine Mega-Börse für Europa? Welch reizvolle Idee! Doch der Ärmelkanal scheint nicht leicht zu überbücken – das weiß man in Frankfurt am Main ebenso wie an der Themse, in London. In der „Financial Times“ stand dieser Tage klipp und klar zu lesen, dass der Ausgang der Abstimmung über einen Verbleib Großbritanniens in der EU könnte die Wahl des Konzernsitzes durchaus beeinflussen. Im Handelsblatt schreibt Daniel Schäfer dazu: „Brexit-Debatte, der Aufbau neuer Grenzzäune und die Aufweichung von Stabilitätskriterien – überall scheinen in Europa derzeit nationale Egoismen und auseinanderdriftende politische Kräfte zu dominieren. Wie wohltuend, wenn in diesen Zeiten zumindest die europäische Finanzbranche zueinanderfindet – und das ausgerechnet in Gestalt der lange bis aufs Messer gegeneinander kämpfenden Börsenbetreiber in London und Frankfurt.“ Ja, wie schön wäre das.
Der CEO der Deutschen Börse AG, Carsten Kengeter, bestätigt denn auch, dass es für ihn darum gehe, „den europäischen Gedanken, das europäische Projekt durch vorausschauendes Handeln“ zu bestärken. Das sei das Grundmotiv für diese Transaktion. Die europäische Mega-Börse soll übrigens formell ihren Sitz in London haben und eine Aktiengesellschaft nach britischem Recht (Plc) sein. Hauptsitz der Firma soll außer London aber auch Frankfurt sein. In beiden Städten soll das Unternehmen auch an der Börse gelistet sein.
Als echter Europäer teilt Kengeter mit, wie wichtig es ihm sei, „dass eine europäische Finanzmarktinfrastruktur in Europa bleibt und nicht irgendwo anders landet oder von irgendwo anders bestimmt wird.“ Ein angesichts der laufenden TTIP-Verhandlungen durchaus offenes Wort. Doch bis die transatlantische Gemengelage von Belang ist, wird noch viel Wasser die Themse und den Main herunterfließen. Bereits am 22. März muss aber nach britischen Vorgaben ein bindendes Angebot für die Börsenfusion gemacht werden, wenn der Deal nicht aus formalen Gründen scheitern soll.
Frankfurt schaut in die Röhre
Anleger sehen die Fusion kritisch. Sind zwei Hauptsitze nicht weiße Salbe? Entscheidend sei doch, so ist zu hören, der rechtliche Rahmen – und hier werden die Bedingungen der London Stock Exchange (LSE) das Maß der Dinge sein – Frankfurt schaut in die Röhre. Der angestrebte Zusammenschlusses belastete in dieser Woche zwischenzeitlich die Kurse beider Börsenbetreiber belastet. Deutsche Börse rutschten zur Wochenmitte um 3,6 Prozent auf 75,96 Euro ab, LSE um 3,2 Prozent auf 2546 Pence. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Nachricht hatten die Aktien der Deutschen Börse zunächst 3,2 Prozent zugelegt, die Papiere der LSE waren in London mit einem Plus von 13,7 Prozent aus dem Handel gegangen. Doch die Skeptiker legen nach: Zum jetzigen Zeitpunkt sei mit Blick auf aufsichtsrechtliche Genehmigungen und die Politik ein Gelingen der Fusion nicht sicher, erklärte Markus Rießelmann, Analyst bei Independent Research. Auch die Historie mit zwei gescheiterten Anläufen solle nicht vergessen werden.
Carsten Kengeter möchte nach London umziehen – das scheint klar. Doch der Standort Frankfurt soll bei Verhandlungen nicht völlig untergepflügt werden. Nachdem nun bekannt ist, dass die neue Megabörse eine Plc. Nach englischem recht in London sein wird, klingen seine Beteuerungen doch ein wenig treuherzig: „Mir würde es im Traum nicht einfallen, irgendetwas unter Wert zu verkaufen. Ich glaube, das ist eine faire Angelegenheit sowohl quantitativ als auch qualitativ. Ich würde diese Gespräche nicht führen, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass das für den hiesigen Standort und für die Deutsche Börse Gruppe das absolut Beste ist.“ Aber warum dann unbedingt der Umzug an die Themse? Auf diese Frage wird er etwas deutlicher: „Wir müssen uns in irgendeiner Form anbinden an die Liquiditätspools anderer Finanzzentren, die in der Regel größer sind als die Liquiditätspools in Frankfurt.“ Und diesen Satz sollten sich alle Beobachter des – bisherigen – deutschen Finanzplatzes Nr. 1 gut merken und rot unterstreichen.
Die Suche nach dem großen Geld
Liquiditätspools anderer Finanzzentren also, die in der Regel größer sind als die Liquiditätspools in Frankfurt – ja, die Deutsche Börse strebt nach höherem. Aus London ist derweil zu hören, dass beim Zusammenschluss der Deutschen Börse und der Stock Exchange sei der Standort am Themseufer absolut nicht verhandelbar sei. Es wird also London werden, und die wichtigen Posten sind auch schon vergeben. Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter wird nach Handelsblatt-Informationen aller Voraussicht nach den zusammengeschlossenen Börsenbetreiber lenken. LSE-Verwaltungsratschef Donald Brydon könnte demnach seinen Posten auch im fusionierten Unternehmen übernehmen, der seit sieben Jahren amtierende LSE-Chef Xavier Rolet würde das Nachsehen haben – ihm wurde ein Rücktritt nach vollendeter Transaktion so nahegelegt, dass er wohl kaum um diesen Schritt herumkommt.
Und welche Auswirkungen hätte nun der Brexit? „Die Parteien wissen, dass eine Entscheidung der Wählerschaft von Großbritannien über das Verlassen der Europäischen Union ein Risiko für das Projekt darstellt“, erklärten die Sprecher beider Unternehmen. Sie hätten deshalb einen Referendumsausschuss gebildet. Der soll prüfen, welche Auswirkungen ein „Brexit“ hätte und Empfehlungen erarbeiten, wie die Unternehmen darauf reagieren könnten. Kengeter sieht den geplanten Zusammenschluss sogar als politisches Statement gegen einen möglichen EU-Austritt Großbritanniens. Das scheint nicht ganz abwegig, denn immerhin hat die angestrebte Fusion ein Volumen von rund 25 Milliarden Euro.
Der letzte Versuch, beide Konzerne zu verschmelzen, war 2005 am Widerstand des Hedgefonds TCI gescheitert, der damals maßgeblich an der Deutschen Börse beteiligt war. Zudem hatte es in Großbritannien große Vorbehalte gegeben, die altehrwürdige Londoner Börse an einen deutschen Konzern zu verkaufen. Das zumindest ist diesmal anders – zumindest gefühlt wird jetzt die Deutsche Börse nach Großbritannien verhökert. Wenn nicht der Brexit dazwischenkommt. sig