Brexit? Britische Großbanken proben die Flucht
Der britische Premier David Cameron will seine Landsleute über den Verbleib in der Europäischen Union abstimmen lassen. Doch der drohende Ausstieg, auch „Brexit“ genannt, könnte für den Finanzplatz London erhebliche negative Folgen haben: Zahlreiche Banken und Fonds haben in diesem Fall bereits angekündigt, die Insel zu verlassen.
Der britische Premier David Cameron will seine Landsleute über den Verbleib in der Europäischen Union abstimmen lassen. Doch der drohende Ausstieg, auch „Brexit“ genannt, könnte für den Finanzplatz London erhebliche negative Folgen haben: Zahlreiche Banken und Fonds haben in diesem Fall bereits angekündigt, die Insel zu verlassen.
London ist zusammen mit New York der wichtigste Finanzplatz auf der Welt. Nach dem aktuellen Global Financial Centres Index, dem international anerkannten Index für globale Finanzzentren, liegt London mit nur einem Punkt Abstand hinter New York auf Platz Zwei. Der von der Z/Yen Group erstellte Index vergleicht die Wettbewerbsfähigkeit von über 80 Finanzplätzen weltweit. Dabei stützt sich der Index auf Daten zu den fünf wichtigsten Komponenten: Humankapital, wirtschaftliche Rahmenbedingungen, Infrastruktur, generelle Wettbewerbsfähigkeit sowie den Marktzugang. Doch gerade letzterer ist für London gerade in Gefahr.
Denn nach seiner souveränen Wiederwahl will Großbritanniens Premier David Cameron nun schnellstmöglich eines seiner zentralen Wahlversprechen einlösen: Das Referendum über den Verbleib in der Europäischen Union. Cameron wollte seine traditionell europaskeptischen Landsleute ursprünglich 2017 abstimmen lassen, nun soll es voraussichtlich aber wohl schon nächstes Jahr soweit sein. Denn nicht zuletzt die Vertreter von Wirtschaft und Finanzbranche drängen auf eine schnelle Klärung in der Frage des „Brexit“. So fordert Mark Carney, Chef der englischen Notenbank „Bank of England“, im Hörfunk der BBC, dass das Referendum so schnell wir möglich kommen solle. Es sei im Interesse aller, Klarheit über den Zeitpunkt, die genaue Frage und den Ausgang der Volksabstimmung zu bekommen, machte Carney deutlich.
JP Morgan und HSBC bereits auf dem Sprung
In der britischen Regierung jedenfalls bereiten sich die Experten bereits intensiv auf das Thema vor. Wie im Mai bekannt wurde, beschäftigt sich ein interne Taskforce unter dem Projektnamen „Bookend“ mit den Folgen eines möglichen Brexit. Details dazu sind allerdings noch nicht bekannt. Weiter sind dagegen schon zahlreichen Banken und Fonds. Sie stellen schon die ersten Weichen, die einen reibungslosen Übergang im Falle eines EU-Austritts Großbritanniens gewährleisten sollen. So steht etwa die größte US-Bank JP Morgen laut einem Bericht der „Times“ kurz davor einen Sitz in Luxemburg zu errichten. Von dort aus sollen im Falle eines Brexit die Geschäfte in der Euro-Zone abgewickelt werden. Die Europa-Zentrale soll aber weiter in England bleiben. Hintergrund ist die Regelung der EU, dass Anbieter von Wertpapierdienstleistungen zwingend eine Zweigstelle in einem Mitgliedstaat haben müssen, wenn sie ihre Produkte im EU-Binnenmarkt vertreiben wollen.
Das britische Geldhaus HSBC denkt dem Zeitungsbericht zufolge sogar darüber nach, seinen Konzernsitz nach Luxemburg zu verlagern. Dies soll der Teil der jüngst angekündigten Strategie sein, den Standort der Zentrale auf den Prüfstand zu stellen. Nicht zuletzt Vorstandschef Stuart Gulliver steht in Großbritannien unter enormen Druck den Gewinn der Bank zu steigern. Persönliche Affären um ein geheimes Bankkonto sowie Enthüllungen um Hilfe bei Steuerhinterziehungen bei der Schweizer Tochterbank hatten im Königreich hohe Wellen geschlagen. Für die größte europäische Bank hätte ein Umzug der Zentrale zudem den angenehmen Nebeneffekt, dass sie den angekündigten strikteren Regulierungen auf der Insel entgehen und gleichzeitig von den steuerlichen Vorteilen im Herzogtum profitieren könnte. Neben HSBC und JP Morgan denken laut einem Bericht der „Sunday Times“ auch einige der größten Fonds mit Sitz in London im Falle eines Brexit über den Umzug auf das Festland nach.
Abstimmung im Vorfeld beeinflussen
Andere europäische Banken beschäftigen sich ebenfalls mit den Auswirkungen eines drohenden Brexit. Die Deutsche Bank etwa hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit diesem Szenario und den möglichen Folgen für die Bank beschäftigt. Konkret geht es dabei um die Frage, welche Geschäftsbereiche aus der Metropole London abgezogen werden können. Diese sollen dann in anderen EU-Staaten wie beispielsweise Deutschland untergebracht werden. So ist die Deutsche Bank derzeit insbesondere mit vielen Investmentbankern in der britischen Hauptstadt aktiv. Bei den Schweizer Banken gibt man sich hingegen nach außen hin schweigsam. Weder UBS noch Credit Suisse wollen sich aktuell zu der Entwicklung äußern. Mit der Tochterfirma UBS Limited hat die Bank ihr globales Buchungszentrum in London. Der Standort ist außerhalb der Schweiz nach den USA der wichtigste Standort. Von Credit Suisse wiederum befindet sich wiederum die Europa-Zentrale in London.
Insgesamt gesehen dürfte der EU-Austritt Großbritanniens für die Briten nicht unerhebliche Folgen haben. Laut einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung und des Ifo-Instituts könne das Bruttoinlandsprodukt bis 2030 um 313 Milliarden Euro niedriger ausfallen als bei einem Verbleib in der Union. Allein der Bereich der Finanzdienstleister würde der Studie zufolge knapp fünf Prozent seiner Wertschöpfung einbüßen. Die Geldhäuser dürfte die Entwicklung dagegen weniger treffen. Mit den jetzt eingeleiteten Veränderungen dürften die Banken im kommenden Jahr jedenfalls angemessen auf ein möglicherweise negativ ausfallendes Votum der Briten vorbereitet sein. Die schon jetzt verkündeten Konsequenzen lassen laut Experten allerdings auch darauf schließen, dass die Banken damit Einfluss auf das Abstimmungsergebnis nehmen wollen.
RS