Der große Knall im Reich der Mitte
Im medialen Schatten der omnipräsenten Griechenlandkrise braut sich ein viel größeres Unglück für die Finanzmärkte zusammen: Der chinesische Aktienmarkt befindet sich nach Monaten der absoluten Aktieneuphorie in einer gefährlichen Phase des Einbruchs. Die Auswirkungen könnten dramatische wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen, und zwar auch hier hierzulande, wo die Autoindustrie um ihren besten Absatzmarkt bangt.
Im medialen Schatten der omnipräsenten Griechenlandkrise braut sich ein viel größeres Unglück für die Finanzmärkte zusammen: Der chinesische Aktienmarkt befindet sich nach Monaten der absoluten Aktieneuphorie in einer gefährlichen Phase des Einbruchs. Die Auswirkungen könnten dramatische wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen, und zwar auch hier hierzulande, wo die Autoindustrie um ihren besten Absatzmarkt bangt. Eine globale Krise käme gar in Sichtweite, sollte der Crash an Chinas Börse eine Rezession auslösen.
Ein altes chinesisches Sprichwort lautet: „Wer viele Schätze anhäuft, hat viel zu verlieren.“ In besonderer Weise trifft dies auf die chinesische Börse zu, die sich zwischen Frühsommer 2014 und 2015 sage und schreibe verdoppelt hat und am 12. Juni ein Hoch von 5.178 Zählern feiern durfte. Egal ob Studenten, Niedrigverdiener oder Rentner- alle wollten ihr Geld auf einmal in Aktien investieren, es herrschte ein regelrechter Hype an der Börse. Dieser wurde allen voran von der Regierung befeuert, die ihre sonst eher als sparsam geltenden Bürger dazu ermutigte, massenhaft in den heimischen Aktienmarkt zu investieren. Großzügige Kredite von der Zentralbank machten die Eröffnung vieler neuer Aktiendepots schmackhaft. Hinzu kam, dass und vielen Chinesen ihr Geld prinzipiell und mangels Kenntnissen nicht im Ausland anlegen, wohl aber auf Kredit heimische Aktien zu kaufen bereit waren. So explodierten die Kurse regelrecht.
Jeder wollte teilhaben am großen Reichtum, fast sah es aus nach kollektiver Gier. So wurden die Warnzeichen übersehen – oder wegelächelt. Doch der Immobilienmarkt im Reich der Mitte galt bereits seit Monaten als überhitzt, und bei immer mehr Aktien aus anderen Branchen hatte der Buchwert immer weniger mit dem Fundament – dem inneren Wert – zu tun. Doch plötzlich ging es ähnlich rasant in die andere Richtung und der SSE Composite brach seit dem Höchstwert Anfang Juni innerhalb weniger Tage um alarmierende über 30 Prozent ein. Die künstlich erzeugte Blase kam zum Platzen. Bisher konnte der Abwärtstrend nicht gestoppt werden.
Um diesen atemberaubenden Crash nun zu stoppen beziehungsweise den Hebel wieder in Richtung Vorwärtsgang zu bewegen, fährt die chinesische Regierung jetzt schwere Geschütze auf. Wertpapiere von fast 1.300 Unternehmen- das entspricht fast der Hälfte aller in Schanghai und Shenzhen gehandelten Aktien- wurden am Mittwoch von den Aufsichtsbehörden aus dem Handel genommen, um Panikverkäufen entgegenzuwirken. Außerdem haben sich staatliche Großinvestoren dazu verpflichten, Wertpapiere in Milliardenhöhe zu kaufen und diese mindestens ein Jahr zu halten.
Diese drastischen Maßnahmen zeigen, wie ernst die Lage derzeit ist. Sollten die Millionen von Chinesen, die während des jüngsten Börsenbooms Großteile ihres Vermögens in Aktien investiert haben, durch den Crash größere Vermögensverluste verzeichnen oder gar Schulden aufhäufen, dann schwindet automatisch auch die Kaufkraft dieser Menschen. Dies könnte eine Rezession auslösen mit erheblichen negativen Folgen für die Realwirtschaft im Reich der Mitte. Konsequenzen müsste dabei die gesamte Weltwirtschaft befürchten. „Wenn die chinesischen Blasen platzen sollten, dann ist dagegen die Lehman-Pleite ein Kindergeburtstag. Weil China für die Weltwirtschaft existentiell ist“, stellt Robert Halver, Chefstratege der Baader Bank, besorgt fest. Anders als bei der damaligen Finanzkrise, deren Auswirkungen übrigens noch immer nicht verpufft sind, betrifft der aktuelle Crash diesmal allerdings fast ausschließlich chinesische Investoren. Internationale Großbanken sind weitaus weniger involviert.
Sollte das fundamentale Eingreifen der chinesischen Regierung tatsächlich Früchte tragen und die Negativspirale mit all ihren globalen Begleiterscheinungen nachhaltig stoppen oder zumindest eindämmen, so dürften dennoch die Zweifel am Wirtschaftsmodell China bei Weitem nicht kleiner werden. Der Weg, den China derzeit anpeilt, mündet nach Meinung vieler internationaler Experten in einer Sackgasse. Ob es dem bevölkerungsreichsten Land der Erde mitsamt seiner Planwirtschaft gelingen kann, den Pfad der Fixierung auf häufig kreditfinanzierte Investitionen, die gigantische Schulden erzeugt haben, zu verlassen, und stattdessen auf dem Boulevard des Konsums zu flanieren, dürfte auch bei pro-chinesischen Optimisten zumindest angezweifelt werden. Zumal das Wachstum auf Anweisung der staatlichen Behörden dabei nicht signifikant abgeschwächt werden darf.
Kritiker, die einer chinesischen Regierung nicht zutrauen, sie könne die Volkswirtschaft einfach umsteuern ohne mit negativen realwirtschaftlichen Auswirkungen rechnen zu müssen, bekommen jedenfalls durch die aktuelle Krise Wasser auf die Mühlen. „Das Vertrauen in Chinas Fähigkeit, die Wirtschaft im Griff zu haben, gerät jetzt ins Wanken“, schreibt Ruchir Sharma vom Investmenthaus Morgan Stanley im „Wall Street Journal“. Gerade der exportorientierte Westen muss sich wohl künftig eingestehen, dass China nicht einfach endlos weiter wachsen kann- selbst wenn die bisher wirtschaftlich erfolgreiche Regierung an allen verfügbaren Schrauben dreht. Vor allem deutsche Unternehmen, die im Reich der Mitte besonders stark in den Bereichen Automobil, Maschinenbau und Chemie unterwegs sind, müssen damit rechnen, dass der chinesische Markt im Vergleich zu den vergangenen fünfzehn Jahren, in denen sich die deutschen Exporte in das größte Land der Welt etwa verzehnfachten, den Turbo aller Wahrscheinlichkeit langsam runterfahren muss. Aktuell erscheint für China noch nur ein Wachstum von fünf Prozent als realistisch, was im Vergleich zu vorherigen Jahren einer Bruchlandung gleichkommt.
WIM