Übernahmefieber in der Chipbranche
Riesige Summen, winzige Technik: Die Chipbranche ist von Übernahmen und Innovationsdruck geprägt. Mit ihren Produkten sind Konzerne wie Intel, Avago Technologies oder Infineon entscheidend am globalen technischen Fortschritt beteiligt. Bei der Chipgröße wird genauso um jedes Prozent gekämpft wie bei den Marktanteilen. Jetzt sorgen gleich mehrere Hersteller für Kurssprünge an den Börsen.
Riesige Summen, winzige Technik: Die Chipbranche ist von Übernahmen und Innovationsdruck geprägt. Mit ihren Produkten sind Konzerne wie Intel, Avago Technologies oder Infineon entscheidend am globalen technischen Fortschritt beteiligt. Bei der Chipgröße wird genauso um jedes Prozent gekämpft wie bei den Marktanteilen. Jetzt sorgen gleich mehrere Hersteller für Kurssprünge an den Börsen.
Den Anfang machte eine Meldung des Wall Street Journal am Mittwoch: Avago Technologies will den amerikanischen Wettbewerber Broadcom für 37 Milliarden Dollar übernehmen. Die beiden Unternehmen bestätigten dies am Donnerstag, doch an den Börsen hatte die Nachricht längst voll eingeschlagen. Die Broadcom-Aktie, die sich über Monate schrittweise an die 50-Dollar-Marke herangetastet hatte, sprang innerhalb weniger Stunden auf über 57 Dollar und konnte das hohe Niveau bis zum Ende der Woche halten. Auch das Papier von Avago Technologies legte kräftig zu und gewann bis Freitag rund zehn Prozent an Wert. Beide Unternehmen werden an der Börse NASDAQ gehandelt. Positive Auswirkungen des Deals waren aber auch in Europa zu spüren: Die Aktien von Infineon und STMicroelectronics etwa konnten profitieren.
Die Börse reagiert sehr sensibel auf Übernahmen und neue Kooperationen in der Chipbranche, wie dieses Beispiel zeigt. Avago Technologies stärkt mit dem Zukauf seine Marktposition und mischt die Karten in der Halbleiterindustrie neu. Dafür greift der Konzern mit Sitz in Singapur und San José (Kalifornien) tief in die Tasche: 17 Milliarden Dollar in bar, die übrigen 20 Milliarden zahlt Avago in eigenen Aktien. Broadcom-Aktionäre sollen so nach dem Zusammenschluss rund 32 Prozent des Unternehmens besitzen. Scott McGregor, Chief Executive Officer von Broadcom, sagte zu der historischen Übernahme: „Unsere Kunden werden Zugang zu einer größeren Breite an Technologie und Produktpotenzial bekommen. Für unsere Aktionäre bedeutet die Transaktion einen reizvollen Wert im Voraus sowie die Möglichkeit, an der Zukunft des kombinierten Geschäfts teilzuhaben.“
Mobile Verbindungen: Broadcom verstärkt Avago in der Breite
McGregors Pendant bei Avago, Hock Tan, erwartet eine eine erfolgreiche Zusammenarbeit: „Gemeinsam mit Broadcom wollen wir das zusammengeschlossene Unternehmen auf eine Stufe der Rentabilität bringen, die Avagos langfristigen Zielen entspricht.“ Man steige durch den Deal zum weltweit führenden Hersteller von breitgefächerten Halbleiterprodukten auf, so die Unternehmen in ihrer gemeinsamen Mitteilung. Der gemeinsame Umsatz soll bei 15 Milliarden Dollar liegen, den größeren Anteil steuert aber nicht etwa der übernehmende Konzern bei. Avago Technologies erwirtschaftete 2014 lediglich einen Umsatz von 4,27 Milliarden Dollar, während Broadcom mit 8,43 Milliarden fast das Doppelte erreichte. In den ersten beiden Quartalen dieses Jahres brachte es Avago jedoch schon auf insgesamt 3,3 Milliarden Euro an Umsatz, was durch den Zukauf von PLX Technology ermöglicht wurde.
Die Chipbranche führt ihren ständigen Wandel einerseits selbst herbei, andererseits reagiert sie auf sinkende Preise für Bauteile sowie auf den wachsenden Bedarf nach neuen Produkten. Avago verstärkt sich gezielt mit einem Spezialisten für mobile Verbindungen, denn Broadcom ist der größte Hersteller von Wi-Fi-Chips. CEO Hock Tan sagte, er sei trotz der Rekordhöhe des Angebots „paranoid“ und fürchte ein Konkurrenzangebot für Broadcom. Die erfolglose Offerte für Freescale Semiconductor zu Beginn des Jahres muss Tan noch lebhaft in Erinnerung sein. Statt Avago erhielt nämlich der niederländische Wettbewerber NXP Semiconductors den Zuschlag für das amerikanische Unternehmen. Zum Zeitpunkt der Ankündigung lag der Wert dieses Deals bei etwa 16,7 Milliarden US-Dollar. Solch eine Schlappe scheint man in Singapur nicht hinnehmen zu wollen. Stattdessen übernimmt Avago einen Konzern mit über 10.000 Mitarbeitern für 37 Milliarden. Der Deal soll im ersten Quartal 2016 abgeschlossen sein.
Intel auch weiterhin vom Übernahmefieber angesteckt
Nur einen Tag nach der offiziellen Verkündung des Avago/Broadcom-Deals gab es am Freitag dann Neuigkeiten aus Santa Clara. Der dort ansässige US-Konzern Intel hat sein Angebot für die Altera Corporation vom April nachgebessert und ist nun offenbar bereit, über 15 Milliarden Dollar auf den Tisch zu legen. Anders als bei der Übernahme von Broadcom ist hier ein Erfolg zwar alles andere als sicher. Aber: „Ein Abschluss ist bis Ende nächster Woche wahrscheinlich“, zitierte die New York Post eine mit der Sache vertraute Person. Durch die beiden Meldungen verbesserte sich auch der Aktienkurs von Intel von knapp 33 auf zuletzt rund 34,50 US-Dollar. Andere Profiteure waren zwischenzeitlich die Papiere von Konkurrenten wie Qualcomm und MediaTek. Die kurzfristigen Börsenerfolge dürfen aber natürlich nicht über die grundsätzlichen Probleme der Branche hinwegtäuschen.
Ein Marktumfeld, in dem vor allem die Größe der Wettbewerber über ihren Erfolg entscheidet, wird auch in Zukunft massive Veränderungen verursachen und weitere Fusionen und Übernahmen begünstigen. Der deutsche Chiphersteller Infineon konnte im zweiten Quartal 2015 zum Beispiel einen Umsatzsprung von 355 Millionen auf knapp 1,5 Milliarden Euro verzeichnen. Diesen beeindruckenden Zuwachs verdanken die Neubiberger vor allem der erstmaligen Konsolidierung von International Rectifier mit 199 Millionen Euro. Außerdem überzeugte das Segment Chip Card & Security mit einem starken organischen Umsatzwachstum. Der gegenüber dem US-Dollar schwache Euro stützte die positive Entwicklung. Die Strategie von Infineon richtet sich klar nach den branchenspezifischen Herausforderungen und beinhaltet Übernahmen und Zukäufe. Anders als bei den großen Akteuren der Woche waren die Kursgewinne an der Börse jedoch nur von kurzer Dauer.
Infineon-Aktie muss Großteil der Gewinne wieder abgeben
Die Infineon-Aktie befindet sich durchaus im Aufwärtstrend, und das recht kontinuierlich seit Herbst 2014. Das zwischenzeitliche Hoch bei über 12,40 Euro erinnerte gar an die Zeiten vor der Finanzkrise. Doch der Kurssprung am Mittwoch und Donnerstag wurde zum Wochenende wieder deutlich nach unten korrigiert. Analyst Markus Friebel von Independent Research sieht für die Aktie wieder Potenzial bis 12,50 Euro, belässt sie allerdings auf „Halten“. Eine Übernahme von Infineon durch einen Konkurrenten hält er indes für unwahrscheinlich. Bei der französischen Investmentbank Exane BNP bestätigte Jérôme Ramel die Einstufung „Outperform“ mit einem Kursziel von zwölf Euro. Die Aktie schloss die bewegte Woche mit insgesamt leichten Gewinnen und einem Stand von 11,87 Euro ab. Sie gehörte damit nicht wirklich zu den großen Börsengewinnern wie Broadcom und Avago, ging aber zumindest nicht leer aus. Den an der Chipbranche interessierten Anlegern dürfte jedenfalls auch in der kommenden Woche nicht langweilig werden, dafür hat ja Intel gesorgt. Marius Mestermann