Das große Bankenzittern
London erlebt einen Bankencrash. Die Aktien mehrerer Geldinstitute mussten an der London Stock Exchange kurzfristig aus dem Handel genommen werden. Die City dürfte zur Großbaustelle werden. Doch der Finanzplatz Frankfurt kann keinesfalls vom Brexit-Beschluss profitieren. Die Papiere der beiden im DAX vertretenen Banken gehen ebenfalls auf steile Talfahrt – zu eng sind sie mit dem Finanzplatz London verwoben. Und dort droht offenkundig der Exodus der Bänker. Wie tief fallen die Bankaktien noch?

London erlebt einen Bankencrash. Die Aktien mehrerer Geldinstitute mussten an der London Stock Exchange kurzfristig aus dem Handel genommen werden. Die City dürfte zur Großbaustelle werden. Doch der Finanzplatz Frankfurt kann keinesfalls vom Brexit-Beschluss profitieren. Die Papiere der beiden im DAX vertretenen Banken gehen auf Crashkurs – zu eng sind sie mit dem Finanzplatz London verwoben. Und dort droht offenkundig der Exodus der Bänker. Wie tief fallen die Bankaktien noch?
Der europäische Banken-Index, der am Freitag mit einem Minus von knapp 15 Prozent den größten Tagesverlust seiner Geschichte eingefahren hatte, fiel am Montag um weitere sieben Prozent auf ein Vier-Jahres-Tief von 119,66 Punkten. In Deutschland gehört der Anteilschein des Finanzdienstleisters Commerzbank heute zu den Verlustbringern des Tages. Aktuell notiert die Aktie deutlich unter sechs Euro. Die Commerzbank-Aktie liegt mit rund 55 Prozent erheblich unter dem 52-Wochen-Hoch, das 12,30 Euro beträgt. Es war am 20. Juli 2015 erreicht worden. Das 52-Wochen-Tief wurde zeitweise unterschritten. Es stammt vom 24. Juni 2016 und beträgt 5,84 Euro.
Noch schlimmer trifft es die Deutsche Bank: Allzeittief, ein Tagesverlust abermals im zweistelligen Bereich! Die Anleger geben der Deutschen Bank die Quittung für viele Querelen der vergangenen Jahre, und der Anlass dafür ist der Brexit. John Cryan, der gebürtige Brite, überzeugte Europäer und reformfreudige Deutsche-Bank-Chef, testiert kurz und bündig: „Der Finanzplatz wird nicht sterben, aber er wird schwächer.“ Die Europäische Idee habe Frieden und Wohlstand gebracht, doch die Europapolitik könne nicht einfach so fortgeführt werden: „Die europäischen Institutionen brauchen eine vorsichtige Restrukturierung. Notwendig ist eine neue Balance und Verteilung von Macht innerhalb der Europäischen Union.“ Deutschlands größtes Geldhaus hat in Großbritannien gut 11.000 Mitarbeiter. Ob Stellen gestrichen oder an andere Standorte verlegt werden, ist noch unklar, scheint aber unvermeidlich.
Konsequenter handelt Morgan Stanley. Die BBC meldete, dass die US-Großbank bereits damit begonnen habe, die Arbeitsplätze von rund 2.000 Investmentbänker und 2.000 weiteren Mitarbeitern zu verlagern: Dublin, Madrid und Frankfurt sind demnach die Standorte, die hier das Rennen machen. Die Großbank soll vier Gebäude in Madrid und sechs Gebäude in Frankfurt angemietet haben. Womöglich sei es notwendig, die organisatorischen Strukturen im Europa-Geschäft zu ändern und auch den Standort einiger Aufgaben, hatte JP-Morgan-Chef Jamie Dimon in einem internen Memo geschrieben.
Für London steht enorm viel auf dem Spiel
Auch andere Großbanken hatten schon im Vorfeld angekündigt, dass sie dann Jobs an anderen Standorten innerhalb der EU verlagern wollen. Je nachdem, wen man fragt, gehen die Schätzungen über die Zahl der gefährdeten Stellen in die Zehntausende. „Innerhalb der nächsten zwölf Monate könnten 50.000 bis 70.000 Jobs aus der Finanzbranche abwandern“, zitiert das auf Finanzjobs spezialisierte Karriereportal eFinancialcareers einen Londoner Headhunter. Die ersten Einschnitte werde es schon in Kürze geben.
Allein im Londoner Finanzdistrikt arbeiten 400.000 Menschen, gut zwei Millionen von ihnen arbeiten im ganzen Land. Der Beitrag des Finanzsektors zur gesamten britischen Wirtschaftsleistung liegt bei etwa zehn Prozent. Kein anderes Land exportiert so viele Finanzdienstleistungen wie London, betont die Finanzlobby der City. Es steht für Großbritannien also viel Geld auf dem Spiel, zumal auch ur-britische Banken statt Finanzprodukten nun Jobs exportieren könnten: HSBC hat angekündigt, rund 1.000 Stellen nach Paris zu verlagern.
Beobachter der Finanzszene, egal ob für oder gegen die EU-Mitgliedschaft, hoffen gerade aufgrund solcher Ankündigungen auf politischen Rückenwind in Britannien, das bis zum nächsten Schottland-Refernedum ja auch noch „groß“ ist: „Jede britische Regierung wird im Falle eines Ausstiegs die regulatorischen Rahmenbedingungen verändern, so dass sich wieder neues Geschäft in London ansiedelt“, heißt es in der City. Die Bedeutung von Handelsaktivitäten werde vielleicht sinken, dafür könnte etwa die Vermögensverwaltung einen höheren Stellenwert erhalten.
Bankaktien: „weg mit Schaden?“
Und dies ist auch bitter nötig. Denn am Ende könnte die größten Verlierer die Anleger sein, die Bankaktien im Depot haben. Die Finanzbranche gehört zu den größten Verlierern des Brexits. Der Grund für die Kursverluste: Die Geldhäuser sind in einer Art „perfektem Sturm“ gefangen. Die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank frisst die Margen auf, die immer härteren Vorgaben der Finanzaufsicht untergraben Geschäftsmodelle, und junge Technologiefirmen greifen die Platzhirsche in beinahe allen Geschäftsfeldern an.Die alte Hamburger Kaufmannsweisheit „weg mit Schaden“ ist als mögliche Strategie die offensichtlichste von mehreren möglichen Alternativen.
Der britische Notenbankchef Mark Carney warnt längst vor einer Rezession auf der britischen Insel. Das Münchener Ifo-Institut fürchtet für Deutschlands, dass ein Ausstieg der Briten hierzulande im schlimmsten Fall drei Prozent Wachstum kosten könnte. Viele Banker fürchten vor diesem Hintergrund, dass der Ausstieg 2016 zu einem verlorenen Jahr machen könnte. „Schon in den vergangenen Wochen haben sich die Investoren angesichts der unkalkulierbaren Brexit-Risiken massiv zurückgehalten", warnte Hendrik Riehmer, persönlich haftender Gesellschafter der Berenberg Bank vor ein paar Tagen. Für die großen europäischen Investmentbanken bedeutete schon das eine Umsatzflaute.
Und nun kommt alles noch schlimmer. Der wahre Verlierer des Brexit könnte Europa heißen: „Wenn London seine zentrale Stellung verliert, wäre der europäische Finanzmarkt sehr zersplittert, am Ende könnten alle verlieren“, fürchtet ein Investmentbanker. „Gerade amerikanische Investmentbanken könnten sich dann auch überlegen, ob sie nicht eher die Standorte in Wachstumsregionen wie Asien stärken sollten.“ Handelsblatt / Yasmin Osman / sig