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Kommt der Crash?

Die Beschaulichkeit steigender Kurse an den Börsen der etablierten Volkswirtschaften hat ein abruptes Ende gefunden. Investoren, die sich rechtzeitig mit dem Eintreffen der ersten Weihnachts-Lebkuchen in den Supermärkten mental bereits auf eine Jahresendrallye einstimmten, sehen sich plötzlich mit neuen Realitäten konfrontiert.

BÖRSE am Sonntag

Die Beschaulichkeit steigender Kurse an den Börsen der etablierten Volkswirtschaften hat ein abruptes Ende gefunden. Investoren, die sich rechtzeitig mit dem Eintreffen der ersten Weihnachts-Lebkuchen in den Supermärkten mental bereits auf eine Jahresendrallye einstimmten, sehen sich plötzlich mit neuen Realitäten konfrontiert.

Ein Blick auf fundamentale und markttechnische Daten hilft zur Bestimmung des Standorts, auch wenn Investoren sich mit der alten Schlager-Weisheit „The future's not ours to see“ abfinden müssen. Charttechnisch orientierte Anleger hatten gehofft, dass die Marke von 8.900 Punkten beim DAX nicht unterschritten wird. Im März und August drehte der Index an diesem Kursniveau wieder nach oben. Diesmal ist das nicht gelungen. Am Freitag markierte das Börsenbarometer ein 52-Wochen-Tief bei 8.788,21 Indexpunkten. Aus charttechnischer Sicht bedeutete das einen klaren Punktsieg für die Bären. Der Blick auf die Charts zeigt auch, dass die Hausse im historischen Vergleich schon lange währt. Für Pessimisten mehren sich die Anzeichen des Endes der Aufwärtsbewegung, die in einem Crash untergehen könnte. Zu diesen Anzeichen gehören Börsengänge zu überhöhten Preisen von Firmen mit bis dato wenig ertragreichem Geschäftsmodell wie Zalando und Rocket Internet. Der Neue Markt lässt grüßen. Wie er endete, haben viele Anleger schmerzlich erlebt.

Schwächelnde Konjunktur

Der Blick auf die Konjunkturentwicklung ist aktuell wenig erfreulich. Das Zugpferd in Europa, Deutschland, beginnt stark zu schwächeln. Absatzzahlen und Aufträge brechen ein. In der Politik macht sich eine merkwürdige Sichtweise breit. In Zeiten, als die Wirtschaft brummte, hat sich die Regierung die Entwicklung selbst auf die Fahnen geschrieben. Jetzt werden externe Faktoren wie geopolitische Krisen als Schuldige für eine Verschlechterung der Konjunktur ausgemacht. Fakt ist, dass die deutsche Regierung sich von Schröders Reform-Politik verabschiedet hat, aber dafür mit Rentenpaketen und Mindestlohn wieder die Spendierhosen anzieht, statt für ein unternehmerfreundliches Klima zu sorgen. Auch die USA kann von der Konjunkturseite nicht sonderlich überzeugen. Der US-Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz verweist darauf, dass noch immer weniger Amerikaner in Beschäftigung sind als vor der Finanzkrise. Zudem sind aus seiner Sicht die Lohnsteigerungen zu gering, um von einem Aufschwung zu reden, der den Namen verdient. Wenn bereits überdurchschnittlich hoch bewertete Aktien in den USA nicht mehr durch steigende Unternehmensgewinne unterfüttert werden, erhöht sich die Anfälligkeit für sinkende Kurse.

Niedrige Zinsen als Motor

Die extrem niedrigen Zinsen, die EZB und US-amerikanische Notenbank den Märkten verordnet haben, sind ein zweischneidiges Schwert. Zum einen haben sie sich zu einem Motor für die Aktienmärkte entwickelt, an dem diese hängen wie der Kranke am Tropf. Zum anderen erlauben sie den Staaten, sich billig zu verschulden, Haushaltsdisziplin und Reformen zu vernachlässigen. Die weiterhin niedrigen Zinsen sind ein entscheidendes Argument gegen einen Aktien-Crash. EZB-Chef Draghi will die Geldschleusen noch weiter öffnen und bis zu einer Billion Euro Wertpapiere kaufen, bei denen zum Teil fraglich ist, ob sie tatsächlich Werte beinhalten. Auf dem Einkaufszettel der EZB stehen u.a. Kreditverbriefungen und Ramschanleihen aus Griechenland. Im kommenden Jahr erwarten die Märkte eine moderate Zinsanhebung in den USA, von einer Zinswende mag man nicht sprechen. Der Druck der Politik auf die Notenbanken, die Zinsen weiter niedrig zu halten, ist groß. Denn höhere Zinsen würden auch zu höheren Belastungen der ohnehin überlasteten Staatshaushalte führen. Aus diesem Blickwinkel ist es nicht ausgeschlossen, dass die US-amerikanische Fed die Zinsen 2015 zwar minimal anhebt, aber schlechte Konjunkturdaten zum Anlass nehmen wird, sie schon bald wieder zu senken.

Warten auf den Einstieg

In Verbindung mit mangelnden Anlage-Alternativen könnten Anleger, die bei steigenden Kursen nicht auf den fahrenden Zug aufspringen wollten, durch die Korrektur zum Einstieg animiert werden. Das würde den Kursen an den Aktienmärkten wieder Auftrieb geben. Im Unterschied zu den meisten Staaten haben viele Unternehmen nach der Finanzkrise ihre Hausaufgaben gemacht und beispielsweise Schulden reduziert. Die Firmen sitzen zum Teil auf hohen Cash-Beständen, die für Investitionen bereit stehen. Zudem locken in Zeiten niedriger Zinsen bei einigen Unternehmen attraktive Dividenden. Hinzu kommt die statistische Komponente, dass sich die Aktienmärkte im letzten Quartal eines Jahres häufig positiv präsentieren, auch wenn es nicht die Ausmaße einer Kursrallye annimmt.

Fazit

Unbestritten sind die Märkte angeschlagen, eine aus vielen Quellen gespeiste Nervosität ist zurückgekehrt. Allerdings muss diese Nervosität nicht für einen Crash sprechen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Crashs häufig aus der Euphorie heraus entstehen, seltener aus Verunsicherung. Ein Angriff auf neue Jahreshochs ist momentan wenig wahrscheinlich, aber auch ein Sturz ins Bodenlose sollte nicht anstehen. Das Zinsumfeld wird sich nicht wesentlich verändern. Aktien bleiben für Anleger, die Renditen über der Inflationsrate anstreben, mangels Alternativen weiterhin ein wesentlicher Bestandteil in ihren Portfolien. Allerdings müssen Investoren in den kommenden Wochen mit höheren Schwankungen an den Märkten rechnen. Momentan gilt wohl an den Börsen, was der französische Schriftsteller Guy de Maupassant eine seiner Romanheldinnen sagen ließ: „Das Leben ist nie so gut und nie so schlimm, wie man meint“.