Der große Zinspoker
Ob die US-Notenbank schon im September den Leitzins hochsetzt, beschäftigt die Börsianer. Auch in dieser Woche werden sie jedes Ereignis als Hinweis für die Zinswende interpretieren. Welche Analysten befürchten nun eine Verschiebung?

Nachrichten von deutschen Unternehmen waren in der vergangenen Wochen nicht das Hauptthema an der Börse – und werden es auch in der kommenden Woche nicht sein. Der Dax stand wie alle anderen europäischen Börsen und die Wall Street ganz unter dem Eindruck des China-Schocks. Von Dienstag bis Donnerstag hatte Chinas Notenbank den Yuan gegenüber dem Dollar um insgesamt 4,5 Prozent abgewertet. Das schürte erneut Ängste vor einer harten Landung der chinesischen Wirtschaft und sorgte auch im Dax für heftigen Abwärtsdruck.
Gleichzeitig kamen mit der Unsicherheit über die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft auch Zweifel an der anstehenden Leitzinserhöhung der US-Notenbank Fed auf. Das stärkte den Euro sowie sowie amerikanische und auch deutsche Staatsanleihen, deren Renditen sanken. Vor den China-Turbulenzen waren die meisten Investoren davon ausgegangen, dass die Fed ihre Quasi-Nullzinspolitik im September beendet. Das ist nun nicht mehr so, „Die Gefahr, dass die Fed ihre Leitzinserhöhung verschiebt, ist gegeben“, sagtt Dirk Aufderheide, Währungschef bei der Deutsche Asset & Wealth Management (DeAWM), der Vermögensverwaltungstochter der Deutschen Bank. „Bis dato erwarten wir zwar noch einen Zinsschritt im September, aber der ist unsicherer geworden.“
Was bringt die kommende Woche?
Investoren werden dabei in den kommenden Wochen jeden Hinweis auf die US-Konjunkturentwicklung genauestens darauf abklopfen, welche Auswirkungen er auf die Politik der US-Notenbanker um Janet Yellen haben dürfte – ähnlich wie bei einem Abzählreim an einem Gänseblümchen. Aufschluss auf die Entwicklung der US-Wirtschaft geben dabei am Montag Daten zum US-Wohnungsmarkt und der Geschäftsklimaindex für den Großraum New York, die laut Prognosen beide leicht gestiegen sein dürften. Das gilt auch für die am Dienstag anstehenden Wohnungsbaubeginne. Besonders wichtig werden die Inflationsdaten am Mittwoch. Hier dürften sowohl die Kerninflation – ohne die volatilen Komponenten Lebensmittel und Energie – als auch die Headline-Inflation moderat zum Vormonat um je 0,2 Prozent zugelegt haben. „Aufgrund der bisher deutlich gesunkenen Ölpreise für August ist der Inflationsausblick für den nächsten Monat aber gedämpft“, betonen die Volkswirte der HSH Nordbank.
Am Mittwoch steht zudem in den USA die Veröffentlichung des Protokolls zur Juli-Sitzung der Notenbank an. Bislang ist daraus nur die Forderung bekannt, dass sich der Arbeitsmarkt nur noch „etwas mehr“ erholen müsse, bevor die Fed den Leitzins erstmals anheben will. Interessant wird dabei laut Ökonomen sein, ob es im Protokoll eine Erläuterung gibt, ob alleine die Erfüllung der Forderungen zum Arbeitsmarkt für eine erste Leitzinsanhebung ausreicht oder ob sich die Fed zusätzlich relativ sicher sein muss, dass die Inflation zu ihrem Zielwert zurückkehren wird.
Am Donnerstag kommen aus den USA dann mit dem Konjunkturindex für den Großraum Philadelphia und dem Index der Frühindikatoren des Forschungsinstituts Conference Board wichtige Daten. Auch hier wird ein Anstieg prognostiziert. Dies alles spricht eher dafür, dass die Fed an der Zinserhöhung festhält. „Viel wichtiger ist doch, was nach einem ersten Zinsschritt folgen könnte,“ meint Joachim Goldberg, Börsenpsychologe von der Beratungsfirma Goldberg & Goldberg.
Als relativ sicher gilt aber, dass die Unsicherheit der Anleger anhalten wird. Als schlechtes Zeichen wertet dabei Jörg Scherer, charttechnisch orientierter Analyst bei HSBC in Düsseldorf, dass im Dax nach den heftigen Kursverlusten von von 2,7 Prozent am vergangenen Dienstag und von 3,3 Prozent am vergangenen Mittwoch nennenswerte Anschlusskäufe fehlten. Am Donnerstag hatte der Dax nur 0,8 Prozent zugelegt, am Freitag rutschte er aber schon wieder 0,3 Prozent tiefer auf 10.985 Punkte. „Das führt Anlegern vor Augen, wie holprig die gegenwärtige Marktverfassung tatsächlich ist“, betont Scherer.
Jetzt schon wieder einsteigen?
Die DZ Bank ist noch optimistischer und sieht „für Anleger gute Möglichkeiten für Aktienkäufe und kurzfristige Kursgewinne.“ Natürlich könnten deutsche Unternehmen, die direkt in Konkurrenz mit chinesischen Firmen stehen, künftig etwas geringere Gewinnmargen erzielen, sollten sie die Preise mitgehen. „Angesichts des globalen Absatzmix deutscher Unternehmen sollte dies jedoch kaum ins Gewicht fallen“, betont die DZ Bank.
Umgerechnet sind in den vergangenen drei Tagen allein beim Dax 56 Milliarden Euro an Börsenkapitalisierung verschwunden. Die DZ Bank hält diesen Ausverkauf für übertrieben. Pro-Argumente für deutsche Unternehmen wie der schwache Euro oder der niedrigere Rohölpreis würden zwar aktuell – wie üblich – ignoriert, „helfen der Wirtschaft aber insgesamt weiter“. Das, was wie eine große Unsicherheit aussieht, könnte also schon die Haltestelle für die Schnellbahn bergauf sein. Handelsblatt / Andrea Cünnen