E.ON: Im Nebel des Grauens
Deutschlands größter Energieversorger E.ON macht den größten Verlust seiner Konzerngeschichte. Für risikobewusste Anleger ist genau dies die Verlockung: wie es weitergeht, ist – milde gesagt – mehr als ungewiss, aber die Sache ist nicht ganz chancenlos. Es ist die Stunde der Zocker.
Deutschlands größter Energieversorger E.ON macht den größten Verlust seiner Konzerngeschichte. Für risikobewusste Anleger ist genau dies die Verlockung: wie es weitergeht, ist – milde gesagt – mehr als ungewiss, aber die Sache ist nicht ganz chancenlos. Es ist die Stunde der Zocker.
Für die Versorger ist es zum Heulen. Der DAX eilt von einem Rekord zum nächsten, als gäbe es kein Morgen mehr. Beinahe jeden Tag erklimmt er ein neues Allzeithoch. Am Freitag lagen fast alle Aktien des deutschen Leitindex im positiven Performance-Bereich – bis auf E.ON und RWE. Beide Titel tauchten am Freitag ab in die roten Zahlen.
Während RWE schon länger der Prügelknabe im DAX ist, hatte man E.ON durchaus mehr Potential zugetraut – etwa durch Innovationen und die schnelle Umstellung auf Erneuerbare Energien. Denkste! Die Düsseldorfer haben im vergangenen Jahr nach neuesten Informationen des Handelsblatts den größten Verlust ihrer Geschichte eingefahren: drei Milliarden Euro. Es ist das zweite Mal in der Firmengeschichte, dass E.ON in einem Jahr Verluste schreibt. Im Jahr 2011 war es ein Minus von rund 2,2 Milliarden Euro. 2013 konnte man einen Gewinn von 2,1 Milliarden Euro verbuchen.
E.ON will sich zum neuen Negativrekord noch nicht äußern. Der Konzern teilt mit, kommenden Mittwoch werde die Bilanz vorliegen. Die Gründe für den exorbitanten Fehlbetrag sind die schlechten Geschäfte in Russland, Brasilien, der Türkei und Spanien. Hinzu kommen der Ölpreisverfall, der die Energiepreise drückt und nicht zuletzt die Kohle- und Gaskraftwerke in Deutschland, die neuerdings ebenfalls unwirtschaftlich sind.
Modernes Gaskraftwerk vor dem Aus
Der Konzern leidet wie andere Versorger auch unter der Energiewende. Die Stromproduktion in konventionellen Großkraftwerken ist immer unrentabler, weil immer mehr subventionierter Ökostrom in den Markt fließt und die Großhandelspreise für Strom verfallen. Viele Anlagen sind deshalb kaum noch ausgelastet und müssen abgeschrieben werden. Ein Beispiel für das unrentable Wirtschaften ist ein hochmodernes Gaskraftwerk bei Ingolstadt, das nun vor dem Aus steht. Das erst vor wenigen Jahren für mehr als eine Milliarde Euro gebaute und von E.ON betriebene Kraftwerk erzielt keine Gewinne. Wegen des Ausbaus des Ökostroms und der Überkapazitäten sind die Strom-Großhandelspreise auf den tiefsten Stand seit Jahren gefallen.
Die Zukunft sieht für E.ON nicht gerade rosig aus. Das liegt auch an dem durch die Bundesregierung forcierten Ausstieg aus der Atomenergie. Insgesamt sieben Atomkraftwerke muss E.ON zurückbauen. Dafür hat der Konzern rund 14,5 Milliarden Euro zurückgestellt. Allerdings bestehen Zweifel, ob das Geld reichen wird. Ob die geplante Aufspaltung des Unternehmens die wirtschaftliche Fehlentwicklung aufhalten kann, steht ebenfalls in den Sternen.
E.ON versinkt in Schulden
Einerseits soll es künftig das „alte“ E.ON geben, das das bisherige Geschäft mit den Kraftwerken betreibt und damit auch für den Rückbau der Atomkraftwerke zuständig wäre. Allerdings ist es aus besagten Gründen fraglich, ob das traditionelle Geschäft mit den alten Kohle- und Gaskraftwerken überhaupt noch rentabel sein kann. Diese Kraftwerke stellen dann allerdings einen Teil der genannten Rückstellungen des Konzerns für den Akw-Abbau dar. Andererseits soll es das „neue E.ON“ geben, das sich auf Stromnetze und Erneuerbare Energien konzentriert. Ob die Neuen jedoch einspringen dürfen, wenn die Alten den Rückbau nicht mehr finanzieren können, ist juristisch fragwürdig und nach Expertenauffassung eher unwahrscheinlich.
Der Schuldenberg hat sich bei E.ON mittlerweile auf 31 Milliarden Euro angehäuft. Der Konzern benötigt dringend Gewinnquellen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete diese Woche, dass die Düsseldorfer die Investmentbanker der Bank of America damit beauftragt habe, bei einem möglichen Verkaufsprozess des Gasfördergeschäfts in der Nordsee beratend tätig zu werden. Der Verkauf könnte demnach bis zu zwei Milliarden Euro einbringen. Auch hierzu will Deutschlands größter Energieversorger derzeit nichts sagen. Für Anleger stellt sich die Frage, wie die Börse auf den Milliardenverlust des Konzerns, der offiziell erst in den kommenden Tagen bekannt gegeben wird, reagiert und ob E.ON vielleicht doch nicht noch Trümpfe in der Hand hält, die sie noch ausspielen kann.
Börse hat Verluste bereits eingepreist
Dass 2014 kein erfolgreiches Jahr werden würde, ist eigentlich keine Überraschung. Einige Analysten hatten bereits vor dem Handelsblatt-Bericht mit einem Milliardenverlust gerechnet. „Ich erwarte, dass E.ON 2014 einen Konzernfehlbetrag von 2,5 bis 3 Milliarden Euro berichtet", sagte etwa Michael Schäfer, Analyst bei der Investmentbank Equinet, der Rheinischen Post. Sven Diermeier von Independent Research rechnet mit einem Minus von 4,1 Milliarden Euro, die Commerzbank ging in einer Studie von 4,3 Milliarden Euro Verlust aus. Andere Experten hatten zuletzt noch positive Zahlen vorausgesagt.
Offenbar trauen viele Analysten dem Energiekonzern trotz aller Rückschläge doch noch eine überraschende Wende zu. Die meisten der jüngsten Analysen stufen die Aktie mit „Kaufen“ oder neutral mit „Halten“ ein. Aktuell befindet sich der Aktienkurs in etwa auf dem gleichen Niveau wie zu Beginn dieses Jahres, nämlich bei 14 Euro. Dass das Papier auch nach dem neusten Bericht über den historischen Rekordverlust nicht nennenswert einbrach, deutet darauf hin, dass die Börsianer die schlechten Geschäftszahlen schon eingepreist hatten. So empfiehlt die Société Générale den Titel zum Kauf und nennt als Kursziel 17 Euro. Die Hoffnungen beruhen dabei vor allem auf einem positiven Ausblick des Versorgers. Auch die Experten von Merrill Lynch stufen das Papier mit „Kaufen“ ein. Sie sehen das Kursziel bei 17,60 Euro. Der größte deutsche Energiekonzern dürfte der US-Bank zufolge eine weite Spanne um die aktuellen Markterwartungen herum als Ausblick wählen. E.ON dürfte aber auch eine schwer kalkulierbare Zeit vor sich haben wegen der höheren Abhängigkeit von der Entwicklung des russischen Rubel. Merril Lynch bevorzugt weiterhin die E.ON-Aktie vor RWE.
Um einiges vorsichtiger zeigt sich hingegen die Credit Suisse, die das Kursziel für E.ON von 13,80 auf 12,20 Euro gesenkt und zugleich das Papier auf „Neutral“ belassen hat. Er habe zum sechsten Mal innerhalb der letzten vier Jahre seine Strompreisprognosen für Zentraleuropa gesenkt, schrieb Analyst Vincent Gilles. Zudem berücksichtige er nun, dass die deutschen Versorger wohl nicht auf eine Rückerstattung der gezahlten Brennelementesteuer hoffen könnten. Darüber hinaus könnten die Aktien von E.ON trotz der höheren Bewertung stärker von einer Reform des Zertifikatehandels mit CO2-Emissionen profitieren als die Anteilsscheine des Wettbewerbers RWE.
Keine Tendenz zu erkennen
Wohin die Reise der E.ON-Aktie geht, ist völlig ungewiss. Einerseits wiegen die realen Milliardenverluste schwer, andererseits besteht die vage Hoffnung, dass der DAX-Konzern es künftig wieder besser macht. Vielleicht lichtet sich der Nebel, wenn das Management kommende Woche Tacheles redet und mit den tatsächlichen Verlusten aus 2014 die Karten auf den Tisch legt. Die unsichere Lage spiegelt sich auch im Kursverlauf der vergangenen zwölf Monate wider. Ein ständiges Auf und Ab im Bereich zwischen 12,50 Euro und 15,50 Euro ließ keine eindeutige Tendenz erkennen.
Für Anleger, die davon ausgehen, dass der Aktienkurs auch weiterhin seitwärts laufen wird, könnten Aktienanleihen eine interessante Alternative zu Aktieninvestments sein. Aktienanleihen spielen genau dann ihre Stärken aus. Ein Beispiel ist die von Goldman Sachs emittierte Anleihe auf E.ON (WKN: GT990C), die einen jährlichen Kupon von elf Prozent zahlt. Sollte die E.ON-Aktie am Laufzeitende Mitte Dezember 2015 auf oder über der Kursmarke (Basispreis) von 13 Euro liegen, erhalten Anleger neben der Verzinsung den Nominalwert der Anleihe zu 100 Prozent zurück. Aktuell würde das eine Rendite von rund sechs Prozent oder 63 Euro pro Anleihe bedeuten
Wird die 13-Euro-Marke am Laufzeitende unterschritten, bekommen Anleger die durch das Bezugsverhältnis festgelegte Anzahl an Aktien geliefert zuzüglich eines Ausgleichsbetrags für eventuelle Bruchteile von Aktien. In diesem Fall beträgt das Bezugsverhältnis exakt 76,9231 Aktien. Mit anderen Worten: Anleger nehmen an den Kursverlusten der Aktie gegenüber dem Basispreis teil. Angenommen, die E.ON-Aktie notiert Mitte Dezember bei zwölf Euro, so würde dies heißen, dass Anleger nicht mehr den Nominalbetrag von 1.000 Euro pro Anleihe zurückerhalten, sondern 76,9231 Aktien (beziehungsweise 76 Aktien und einen entsprechenden Ausgleichsbetrag). Dies entspricht dann einem Wert von rund 923 Euro (Rechnung: 76,9231 x 12 Euro). Addiert man die Rendite hinzu, die sich aus dem gezahlten Zins ergibt (rund 63 Euro), bleiben unterm Strich 986 Euro. Dies entspricht einem Verlust von 38 Euro pro Anleihe (rund 3,7 Prozent).
Je tiefer also die Aktie einbricht, desto größer ist der Verlust bei dem Investment. Im Vergleich zum direkten Aktieninvestment sind Anleger aber noch besser gestellt als die Aktionäre, da der gezahlte Kupon die Verluste noch abfedert. Andererseits muss man aber auch sagen, dass die Käufer von Aktienanleihen keinen Anspruch auf etwaige Dividendenzahlungen von E.ON haben.
Aktienanleihen zahlen sich also in seitwärts laufenden Märkten aus. Wer hingegen von deutlich steigenden Kursen der unterlegten Aktie ausgeht, dürfte das direkte Aktieninvestment bevorzugen. Anleger, die trotz allem den Kauf des E.ON-Titels favorisieren, sollten vielleicht noch ein paar Tage abwarten, bis der Konzern die neuen Zahlen vorgelegt und einen Ausblick wagt.