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AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE LEBENSART BÖRSE am Sonntag: Was passiert, wenn die AfD und andere Populisten in Europa zunehmend an Einfluss gewinnen? Prof. Sinn: Dann wird sich die Politik in Deutschland auch wieder nach rechts bewegen, denn die CDU hat sich in Richtung Grüne und Linke bewegt, in der Hoffnung, dort Stimmen zu gewinnen, ohne am rechten Rand welche verlieren zu müssen. BÖRSE am Sonntag: Welches Erbe teilen Sie mit Ludwig Erhard und Walter Eucken? Was macht den Ordoliberalismus heute aus? Prof. Sinn: Ordo- und Neoliberalismus – die in vielerlei Hinsicht Synonyme sind – unterscheiden sich vom klassischen Liberalismus, dadurch, dass man nicht glaubt, dass spontane Ordnungen ohne Kontrollen und Maßregeln des Staates zustande kommen. Der starke Staat ist als Schiedsrichter und Ordnungsmacht erforderlich, um die Marktkräfte zur Entfaltung zu bringen. Das ist heute noch genauso richtig wie zu der Zeit von Alexander Rüstow 1932, als er den Neoliberalismus begründete, aus dem später der Ordoliberalismus hervorging. BÖRSE am Sonntag: Sollten Politiker mehr auf die Stimme der Wirtschaft hören? Prof. Sinn: Sie sollten mehr auf die Stimme der Volkswirte hören. BÖRSE am Sonntag: Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat Sie als „ökonomischen Seismograph der Republik“ bezeichnet. Gibt es so etwas wie einen wirtschaftlichen Instinkt, ein Gen? Prof. Sinn: Nein, aber es gibt da natürlich Erfahrungen. Ich beschäftige mich jetzt mit wirtschaftlichen Themen mehr als ein halbes Jahrhundert, und vieles von dem, was derzeit so abläuft, hat man früher schon einmal in ähnlicher Form gehabt. Ich habe schon viele Ideologien an der Wirklichkeit zerschellen sehen. BÖRSE am Sonntag: Kommen wir zum Themenkomplex der Wirtschaft. Sie haben ja eben gesagt, dass die Politik mehr auf die Stimme der Volkswirte hören sollte. Haben Sie persönlich einmal in Erwägung gezogen, selbst in die Politik zu gehen und von dieser Seite aus Einfluss zu nehmen? Prof. Sinn: Bevor ich Volkswirtschaftslehre studiert hatte, ja. Das ist aber lange her. BÖRSE am Sonntag: Hatten Sie also überlegt, Politik zu studieren? Prof. Sinn: Nein, das nicht. Ich habe mein Studium in der Zeit der 68er-Revolution begonnen, und da wollten die Studenten die Welt verändern. BÖRSE am Sonntag: Im Moment sind wir ja ähnlich wie zu 68er-Zeiten auch in einer sehr politisierten Zeit. Dazu kam in Europa die Nullzinspolitik, ein Ölpreiscrash und die aktuelle Schwäche des Euro. Dies hat die Konjunktur beflügelt, man könnte auch sagen: künstlich beflügelt. Wie stark ist die deutsche Wirtschaft wirklich? Foto: @ Stefan Groß - WMG 35


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