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AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE LEBENSART Foto: @ ferkelraggae - Fotolia.com 37 BÖRSE am Sonntag: Ein anderes Thema, das mittelbar auch mit Protektionismus zu tun hat, ist der VW-Skandal. Inwieweit sehen Sie in dieser Causa industriepolitische Machenschaften? Prof. Sinn: Die sehe ich deutlich – das war damals schon bei Siemens so, als die Dinge von den Amerikanern grenzenlos aufgebauscht wurden, um der eigenen Industrie, die nicht anders unterwegs war, Vorteile zu verschaffen. Mit ihrer Umweltgesetzgebung betreiben die Amerikaner Handelsprotektionismus. Bei den Standards für die Stickoxide ging es um den Versuch, die angeschlagene amerikanische Automobilindustrie gegen den Import kleiner, schnelllaufender Dieselmotoren zu schützen, die sehr energieeffizient sind und nur einen geringen CO2-Ausstoß haben. Die Komplexität dieser Motoren beherrschen die US-Hersteller bis heute nicht. BÖRSE am Sonntag: Also kein fair play auf der anderen Seite des Atlantiks? Prof. Sinn: Es ist doch bemerkenswert, dass die Amerikaner ihre neuen Standards für Stickoxide im Jahr 2007 gesetzt haben, als die europäische Dieseloffensive in den USA begann. Die neuen US-Standards gingen weit über die damals gültigen europäischen Standards hinaus, und waren strikter als selbst die heutigen Euro-6 Standards. Interessanterweise verschärfte man die Standards aber nur für die kleinen Motoren mit geringem Verbrauch und geringem Schadstoffausstoß. Für die großvolumigen Dieselmotoren der amerikanischen Trucks, die man auch in den USA baut, gelten viel laxere Standards. Dass VW dabei geschummelt hat, um die Motoren trotzdem verkaufen zu können, will ich damit nicht entschuldigen. Aber man sollte schon das ganze Bild sehen. BÖRSE am Sonntag: Deutschland wählt 2017. Was wären aus Ihrer Sicht die wichtigsten ökonomischen Aufgaben einer Merkel-IV-Regierung oder welcher Regierung auch immer, die daraus hervorgeht? Prof. Sinn: Die EU neu aufzustellen. Mit dem Austritt Großbritanniens ist das System der EU ins Wanken geraten. Die Briten haben berechtigte Vorhalte gemacht und haben gezeigt, was alles falsch läuft in Europa. Wir sollten auf die Briten inhaltlich eingehen. Denn Großbritannien ist so groß, dass sein Austritt wirtschaftlich dem Austritt von 20 der kleinsten EU-Länder gleichkommt – 20 von 28, die wir insgesamt haben. Schon das bedeutet, dass hier kein Stein auf dem anderen bleiben kann und dass wir die EU-Verträge neu verhandeln müssen, um ein besseres, funktionsfähigeres EU-System zu schaffen. Besonders schlimm finde ich es, dass die freihandelsorientierten Länder nun ihre Sperrminorität im Ministerrat verlieren, während die eher protektionistisch orientierten Länder des Mittelmeerraums nun an Gewicht gewinnen. Insbesondere beim Thema der Immigration muss neu angesetzt werden, denn die bisherige Vorstellung, dass man Freizügigkeit mit einer vollen Inklusion in die Sozialstaaten und Fortexistenz der Sozialstaaten haben könne, ist abwegig. Da man den Briten bei EU-Immigranten die Beschränkung der Inklusion in den Sozialstaat nicht zugestand, beschränken sie nun die Freizügigkeit. Das ist der falsche Weg, aber er


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