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Anlagetrends 2018/1

Schliekers Börsenjahr Kein Ziel, kein Deal: Der Brexit und der ratlose Investor Der 29. März 2019, ein Freitag, könnte ein Wochenende einläuten, wie man es seit dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers und den darauffolgenden hektischen Verhandlungen weltweit nicht mehr erlebt hat. Mehrmals im Zuge der Finanzkrisen seit 2007 gab es ein schmales Fenster, nämlich vom Handelsschluss in New York bis zur Eröffnung der Börse in Tokio, Montag in der Frühe, um einen totalen Crash zu vermeiden. Was passiert an diesem Tag? Der Freitag Ende März 2019 könnte der Tag sein, an dem Großbritannien ohne Plan und Ziel aus der Europäischen Union ausscheidet und die Finanzmärkte in Europa und Übersee dem chaotischen Geschehen bestenfalls einigermaßen vorbereitet zusehen können. Immerhin: Zahlreiche Finanzmarktakteure scheinen besser gerüstet als die britische Regierung, die im Oktober 2017 jedenfalls noch nicht einmal grundlegende Weichenstellungen, geschweige denn handfeste Verhandlungspositionen nach Brüssel übermitteln konnte – daran änderte auch die Reise von Premierministerin Theresa May in die EU-Metropole nicht viel. „Besser kein Deal als ein schlechter“, hatte May getönt, und niemand nahm das sonderlich ernst. Der Chaos-Brexit würde zuallererst das Vereinigte Königreich an die Wand drücken, auch wenn dessen Wirtschaft nach der schicksalhaften Entscheidung des Juni 2016 nicht in die Knie gegangen ist. Gleichzeitig aber zieht die Inflation an, und die Bank of England kann nicht für alle Zeiten mit Rücksicht auf die Kurzschluss-Abstimmung gegen Europa einem Pfundverfall und einer deutlichen Preissteigerung zusehen. Nebenbei bemerkt: Einer der Hauptleidtragenden des Ausscheidens der Briten, nämlich die Bundesrepublik, hat nach neueren und mehrfach bestätigten Forschungen der Politikwissenschaft das Pendel zugunsten der EU-Gegner ausschlagen lassen: In Gestalt ihrer Bundeskanzlerin, die allem Anschein nach ebenso hilflos wie trotzig hunderttausende Migranten unkontrolliert ins Land ließ, jagte damit den Briten einen gehörigen Schrecken ein, zumal jenen, die ohnehin schon misstrauisch die Lager in Calais beobachteten, quasi vor der Haustür und dem Eurotunnel, und die für sich wohl den Schluss zogen, dass es außerhalb der Union noch eher möglich sein würde, sich gegen ungezügelte Massenimmigration zu wappnen. Schließlich hat Großbritannien reichliche Erfahrungen mit Einwanderern aus dem ehemaligen Commonwealth und Kulturen, die mit Europa wenig kompatibel erscheinen, und No-Go-Areas gibt es in Manchester ebenso wie in Birmingham. Da ist es für Deutschland ein schwacher Trost, dass im Zuge der noch verbleibenden Monate – ein Viertel der Verhandlungszeit für den geordneten Brexit ist bereits vergangen, und das tatenlos – mit einem stärker als erwartet ausfallenden Zuzug von Banken, Investmentgesellschaften und womöglich EU-Institutionen nach Frankfurt zu rechnen ist. Eine der ersten großen Banken, die sich entschlossen, im Hessischen eine starke Präsenz noch zu verstärken, war Goldman Sachs. Der Ministerpräsident des Bundeslandes äußerte jüngst Erkenntnisse, wonach mindestens 40 Institute aus London ganz oder teilweise an den Main wechseln wollen. Das ist für den wichtigsten deutschen Finanzplatz ein Adrenalinschub, gewiss – aber der Schaden, der sich im wechselseitigen Handel mit den Briten, oder genauer gesagt, dessen künftigen Hemmnissen, sowie in der Schwächung des EU-Nordens gegenüber dem mediterranen Gemeinschaftsgeist, der sich durchaus auch in Euro und // Anlagetrends · 2018 | 1 8


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