Schliekers Börsenjahr
Netflix und Co. –
Geburtshelfer
und Totengräber
Wieviel Disruption verträgt ein Lebensbereich, ehe er sich entweder komplett verabschiedet oder soweit
verändert hat, dass ihn frühere Generationen beispielsweise nicht mehr erkennen, und die noch Lebenden je
nach persönlicher Verfassung nicht w iedererkennen würden?
Seit den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entwickelte sich
der Rundfunk – Hörfunk und Fernsehen – zum Massenmedium
ersten Ranges. Beide eroberten den heimischen Lebensstil, wurden
zur wichtigsten Freizeitbeschäftigung der industrialisierten Welt
und zum Propagandawerkzeug rund um den Globus. Kennzeichen
vor allem: Zielgerichtete, weitestgehend in eine Richtung verlaufende
Kommunikation. Ein halbes Jahrhundert fast hatten die Veranstalter
dieser Massenmedien ihr Terrain für sich – auch noch weit
in die Epoche des Internets hinein. Trotz revolutionärer Ideen wie
Tonband, VHS-Videorecorder und öffentlich zugänglichen Videotheken,
CD und DVD.
Gänzlich neu wurde vieles erst als Folge einer Nebennutzung des Internets,
sobald man in der Lage war, eine entsprechende Bandbreite
zur allgemeinen Verfügung zu stellen – über das Thema Netzneutralität
wäre an anderer Stelle noch durchaus zu räsonieren. Das
Geschäftsmodell, das inzwischen der 1997 gegründeten Online-
Videothek inzwischen Umsätze von jährlich neun Milliarden Dollar
beschert, war ursprünglich komplett „Old Economy“: Den Versand
von Video-Datenträgern beherrschten in den USA eine Vielzahl von
Unternehmen. Netflix, der Name ist zusammengesetzt aus „Internet“
und „Flicks“, ein Slang-Begriff für „Filme“, dieser Netzfilmer also betreibt
überhaupt erst seit 2007 das Video-On-Demand-Geschäft über
eine Online-Plattform. War zuvor das Internet ein reiner Bestellkanal,
ist es heute Medium und Message zugleich, und fungiert in beide
Richtungen: Netflix liefert Filme und Serien, die Nutzer liefern freiwillig
und unfreiwillig Feedback. Erzkonkurrent Amazon mit seinem
„Prime“-Dienst kratzt bislangg lediglich ein wenig am Fast-Monopol,
zahlreiche kleiner special-interest-Firmen mischen in ihrer Nische mit.
Das Fernsehen nach Uhrzeit, also exakt zu der Zeit, in welcher
eine spezielle Folge einer Serie oder ein Spielfilm durch eine Fernsehanstalt
gesendet wird, ist ein langsam untergehendes Modell.
Auch wenn die herkömmlichen Sender ihre Mediatheken betreiben
– gegen die Giganten werden sie nicht aufstehen können oder
gar wollen. Das Milliardengeschäft von Netflix hat in den letzten
Jahren – ebenso wie die Aktie des Unternehmens – den entscheidenden
Impuls durch eigenproduzierte Serien. Der Informationsfundus
von Netflix lässt sich kaum noch irgendwie ankratzen.
Wenn man bedenkt, dass vor einiger Zeit Disney sein Engagement
bei Netflix aufkündigte und einen eigenen Streaming-Kanal aufbauen
will, und dies heute nicht einmal mehr als größerer Einschnitt
im Aktienchart von Netflix zu sehen ist, dann kann man
die Bedeutung der Eigenproduktionen ermessen.
Nochmals einen Schub bekam die Netflix-Aktie kürzlich, als
der in den USA vergötterte Serienproduzent und Drehbuchautor
Ryan Murphy einen Fünfjahresvertrag mit Netflix unterzeichnete.
Inzwischen notiert Netflix an der NASDAQ bei rund 280
Dollar. Die Kurve sieht einem gewissen Schweizer Berg nicht unähnlich.
Vergleichbar natürlich mit Amazon, 1.500 Dollar und
steigend. Auch wenn der als Investmentguru gehypte George Soros
sich kürzlich von seinen Tech-Aktien trennte: Er hat seitdem
schon ein paar hübsche Gewinne verpasst – und die Mehrheit
der Beobachter im Silicon Valley sieht das Ende der Erneuerung
nicht erreicht.
Konkurrenz ist weit und breit nicht in Sicht. Aber sie dürfte in
nicht allzu ferner Zukunft in Asien entstehen beziehungsweise
// Anlagetrends · 2018 | 2
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