AKTIEN & MÄRKTE UNTERNEHMEN FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE LEBENSART
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Großes Potenzial für den Einsatz von
Wasserstoff-Antrieben besteht aus meiner
Sicht vor allem im Bereich des ÖPNV, des
Schwerlastverkehrs und auch der Schifffahrt.
Beispielsweise sind rund 40 Prozent
des deutschen Schienennetzes bislang nicht
elektrifiziert und werden zum großen Teil
noch von Dieselloks oder Dieseltriebwagen
befahren. Durch diese werden rund 1,1
Millionen Tonnen CO2 pro Jahr emittiert.
Hier liegt also ein großer Hebel, um unsere
Emissionsziele erreichen zu können.
Wie wirkt sich die Corona-
Pandemie auf Ihr Geschäft aus?
Wir befinden uns mitten in einer dreifachen
Krise: der Klimakrise, der Corona-
Krise und der mit beiden verbundenen
Wirtschaftskrise. Keine dieser Krisen
kann nachhaltig gelöst werden, wenn die
beiden anderen nicht gleichzeitig gelöst
werden. Dies ist eine Herausforderung
in einer neuen Dimension, aber auch
eine große Chance - insbesondere für die
Energiewirtschaft.
Der Wettlauf zur klimaneutralen Produktion
hat längst begonnen - in Asien,
in Amerika. Die Welt wartet nicht darauf,
dass wir unsere inneren europäischen
Probleme lösen. Deutschland und Europa
sind bei technologischen Innovationen
und vor allem ihrer Umsetzung auf dem
Weg zur Klimaneutralität nicht mehr Vorreiter,
sondern nur noch Begleiter. Und es
ist nicht klar, wer das Rennen in der Industrie
gewinnen wird.
„Wasserstoff ist viel mehr
als ein Hype.“
Wenn wir langfristig gestärkt aus der Krise
hervorgehen wollen, müssen wir unsere
Wirtschaft und vor allem unsere Industrie
als ihre wichtigste Grundlage klimaneutral
machen. Dabei geht es nicht nur um die
Lösung der Klimakrise. Es geht ganz einfach
um die Frage, ob wir auch in Zukunft
eine global wettbewerbsfähige Industrie und damit eine prosperierende
Wirtschaft haben werden, die uns weiterhin gesellschaftlichen
Wohlstand ermöglicht. Wir brauchen deshalb eine neue Architektur
des Zusammenlebens und des Wirtschaftens.
Was muss die Politik konkret tun, damit die
Energiewende von den Unternehmen erfolgreich
umgesetzt werden kann?
Um erfolgreich zu sein, benötigen wir die entsprechenden politischen
und regulatorischen Rahmenbedingungen. Über das
Thema Wasserstoff haben wir schon ausführlich gesprochen.
Insgesamt sollte die Politik die Rolle der Verteilnetze stärker
in den Fokus rücken. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt der
Energiewende. Sie sind der Schlüssel dafür, die erneuerbaren
Energien auch in den anderen Sektoren einsetzen zu können –
Stichwort Sektorkopplung.
Hier genügt schon ein Blick in die Statistik: Von den 1,9 Millionen
Windkraft-, Photovoltaik- und Biomasseanlagen in Deutschland
sind über 95 Prozent an die Verteilnetze angeschlossen. Allein
bei unserem Tochterunternehmen Westnetz, dem größten Verteilnetzbetreiber
in Deutschland, sind es bereits 190.000 Anlagen.
Und die Zahlen steigen weiter stark an. Auch auf Verbraucherseite
finden in den Verteilnetzen die zentralen Weichenstellungen statt.
Nur ein Beispiel: Ladesäulen für Elektrofahrzeuge sind fast ausschließlich
an das Verteilnetz angeschlossen, etwa in der heimischen
Garage, in Parkhäusern oder entlang öffentlicher Straßen.
Dieses komplexer werdende System will organisiert sein, und zwar
so, dass die Energieversorgung wie gewohnt reibungslos läuft.
Nachhaltigkeit und Digitalisierung gehören deswegen zusammen.
Nur durch die Digitalisierung der Verteilnetze kann auch
künftig eine sichere und nachhaltige Energieversorgung gelingen.
Die Digitalisierung ist Voraussetzung dafür, die Netze optimal
zu nutzen, sie intelligent zu steuern und dadurch den Bedarf an
Netzausbau auf ein Minimum zu reduzieren. Hier muss die Politik
die Rahmenbedingungen dringend anpassen. Wir sollten auch bei
der Energiewende stärker auf das Subsidiaritätsprinzip setzen: Wir
sollten also weniger vom Großen ins Kleine denken, sondern vom
Kleinen ins Große.
Ich bin Anfang 30. Wird meine Generation Wasserstoff
als wichtigsten Energieträger noch erleben?
Davon gehe ich aus. Im Jahr 2050 soll sich Wasserstoff als Energieträger
durchgesetzt haben und eine wichtige Rolle im Energiesystem
spielen. Aber auch dann wird es nach heutigem Stand
einen Mix aus vielfältigen Technologien geben. Diese Wasserstoff-
Technologie aber wird weltweit die Ökonomie und unser Leben
nachhaltig verändern. Das Gespräch führte Florian Spichalsky