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Gastbeitrag
zählt beispielsweise der Bereich genetische Arzneimittel.
Ein konkretes Beispiel ist der Wirkstoff
CTX001 der Unternehmen Vertex und Crispr
Therapeutics gegen Sichelzellenanämie, eine erbliche
Erkrankung der roten Blutkörperchen,
und Beta-Thalassämie, eine Störung der Bildung
von roten Blutkörperchen. Hier erwarten wir im
zweiten Halbjahr sowohl die Zulassungsdaten
als auch die Einreichung des Zulassungsantrages.
Dies könnte dann das erste breiter einsetzbare
Genscherenmedikament sein.
Weitere Erfolgsmeldungen dürften auch in anderen
Biotech-Segmenten folgen. Während sich
viele Unternehmen auf die Behandlung seltener
Krankheiten spezialisiert haben, zeigen sie
als Folge der Pandemie vermehrt Interesse, ihre
Spitzentechnologie für Indikationen einzusetzen,
die einen bedeutend grösseren Anteil der Bevölkerung
betreffen. Gleichzeitig richtet sich die
Aufmerksamkeit der Investoren wieder stärker
auf chronische und schwere Erkrankungen. Zudem
dürfte sich der Stellenwert von SARS-CoV2-
Impfstoffe und -Medikamente verringern. Die
Biotech-Industrie wird an die Dynamik der Vorjahre
anknüpfen – mit guten Chancen, dass das
Investoreninteresse vermehrt zurückkehrt.
Auswirkung der Rechnerkapazitäten
auf die biopharmazeutische Industrie
Die Rechnerkapazitäten und die digitale Transformation
der Biotechnologiebranche stehen in
allen Bereichen der Medikamentenentwicklung
im Fokus. Ausgefeilte Analytik, künstliche Intelligenz
(AI) und maschinelles Lernen (ML) kommen
bei der Identifikation der Zielmoleküle, der
Erforschung neuer Medikamente und der Auswahl
der vielversprechendsten Kandidaten bis
hin zur Verbesserung des Studiendesigns und der
Auswahl der Patienten zur Anwendung. Zahlreiche
junge Unternehmen nutzen diese Methoden,
aber die klinischen Wirksamkeitsnachweise sind
nach wie vor dünn gesät und dürften sich erst im
Laufe der Zeit einstellen.
Relay Therapeutics hat mit seinem FGFR2-spezifischen
Hemmer RLY-4008 zuallererst nachgewiesen,
dass sein Dynamo-Plattform-Ansatz
für die Modellierung und Analyse von Proteinbewegungen
mit höchster Genauigkeit zu überlegenen
Eigenschaften von Wirkstoffkandidaten
führen kann. Die meisten Unternehmen streben
dieses Ziel an, einige ausgewählte Projekte befinden
sich bereits in der klinischen Entwicklung.
Die etablierten Pharmaunternehmen investieren
hier zunehmend in firmeninterne Kapazitäten,
gehen aber auch externe Partnerschaften ein, um
mehr von den Marktführern im Bereich AI/ML
zu lernen. Bei den meisten in diesem Feld aktiven
Technologieunternehmen handelt es sich nach
wie vor um private Unternehmen, sodass wir für
die nächsten Jahre vermehrt von Börsengängen
und Listings an Finanzmärkten ausgehen. Damit
rückt die Aussicht auf eine raschere, günstigere
und sich durch eine höhere Erfolgsquote auszeichnende
Medikamentenentwicklung stärker
ins Blickfeld.
Dr. Daniel Koller
Head Investment Management Team
BB Biotech bei Bellevue Asset Management
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