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Dialog  UNTERNEHMEN  Trading  FONDS  ZERTI FIKAT E  Rohstoffe  Lebensart BÖRSE 58 am Sonntag · 1 | 201 5 Gastbeitrag Wir bewegen uns weg von der Marktwirtschaft Hans Werner Sinn im Interview mit René Scheu Denkzeit: Ist es, mit Blick auf die vielen staatsnahen Industrien, die sich in allen Ländern ausbilden, noch ein wirklich marktwirtschaftliches System, in dem wir in Europa leben? René Scheu: Wir bewegen uns tatsächlich weg von der freien Marktwirtschaft, und zwar hauptsächlich dadurch, dass die europäischen Institutionen in riesigem Umfang Investitionslenkung betreiben. Einmal durch die EZB als Hauptakteur, dann aber auch durch den Rettungsschirm ESM. Beide lenken öffentliches Kapital nach Südeuropa und geben dem privaten Kapital Geleitschutz auf dem Weg an Orte, an die es eigentlich gar nicht mehr hinwill. Sehr viel Kapital ist dort in den letzten zehn Jahren verbrannt worden – das Kapital hat erkannt, dass es ein Fehler war, dorthin zu gehen, die Politik aber will die Korrektur des Fehlers verhindern und drängt das Kapital weiterhin südwärts. Für meine Begriffe ist das nicht kompatibel mit einer «Marktwirtschaft». Denkzeit: Eigentlich auch nicht mit einer Demokratie, denn an diesen Prozessen haben die Bürger ja keine Mitsprache. René Scheu: Natürlich, die EZB ist keine demokratische Institution, sondern wird von einem technokratischen Gremium geleitet, das unter dem Deckmantel der Geldpolitik fiskalische Kreditoperationen durchführt. Faktisch ist die Geldpolitik Fiskalpolitik und die EZB zur Bail-out-Institution, ja fast kann man sagen Bad Bank, Südeuropas geworden – ohne dass sie dafür je ein Mandat erhalten hätte. Das sind bedrohliche Entwicklungen, die eigentlich weder aus demokratischer noch aus marktwirtschaftlicher Sicht so hingenommen werden sollten. Denkzeit: Ist angesichts dieser Verselbständigung und bei Staatsquoten von gegenwärtig plus/minus 50 Prozent der Begriff des «Semisozialismus» nicht doch ganz passend, um das aktuelle System zu bezeichnen? René Scheu: Im reinen Kommunismus hätten wir eine Quote von 100 Prozent, in der reinen Marktwirtschaft eine von 0. Solch reine Systeme gibt es allerdings nie, es existieren nur Mischformen, und natürlich stimmt es: Einige europäische Länder wie Frankreich oder Dänemark, die eine Quote von weit über 50 Prozent aufweisen, liegen dem Sozialismus objektiv gesehen näher als der Marktwirtschaft. Insofern finde ich den Begriff bei genauerem Überlegen durchaus treffend. Lesen Sie das gesamte Interview in der neuen Denkzeit: www.denkzeit.de René Scheu ist Herausgeber und Chefredakteur der Denkzeit; Professor Dr. Hans-Werner Sinn ist Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München. Interview Warnt vor Abkehr von der Marktwirtschaft: Prof. Hans-Werner Sinn vom Münchner ifo-Institut


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