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Lebensart  AKTIEN & MÄRKTE  unternehmen Trading  fonds  Zertifikate  rohstoffe Alt trifft neu, klein trifft groß – die beiden Prinzenbücher Die Weide der unsichtbaren Schafe Endlich ist er erwachsen geworden! In wie vielen Bücherregalen wohnt er, der Kleine Prinz, und er erinnert uns an das, was wir immer sein wollten, was wir vergessen haben. Doch warum nur tun wir nicht das, was uns dieser kleine, bescheidene Kerl, die geniale Schöpfung des großen französischen Dichters Antoine de Saint Exupéry, so eindringlich nahelegt? Vielleicht, weil die Geschichte noch nicht zu Ende erzählt wurde. Die Geschichte ist jetzt eine andere. „Träumer schenken dir keine Milchschokolade.“ Damit beginnt die gedankliche Reise, die den Leser sehr schnell von der rein emotionalen Welt des Kleinen Prinzen in die Wirklichkeit herüberzieht. Ein Fluglotsenstreik lässt Vigneron, den Verfasser, in New York stranden, und dort, im Central Park, lernt er einen Schäfer kennen, der ihm ein Schaf anvertrauen möchte. Zwar ist dieses Schaf nicht ohne weiteres zu erkennen – Agnostiker würden gar sagen, es sei imaginär –, doch das macht überhaupt nichts. Der große Prinz, denn niemand anderes als er ist der Schäfer, hat 99 solcher Schafe zu hüten. Und ohne Worte erkennt der Autor, warum der große Prinz gerade hier seine Schafe hütet und warum er ihm nun eines davon anvertraut. Auf eine Wanderung durch viele gedankliche und doch so reale Welten nimmt Vigneron seinen Leser mit, denn natürlich ist zu Beginn noch nicht recht klar, welche Erkenntnisse es denn nun sind, die der große Prinz vermitteln kann. Doch das wird schnell klarer: im vierten Kapitel, „Schicksalsball“ übertitelt, erinnert die Akteure sehr an manchen Anleger. Vigneron versteckt hier eine Lebensweisheit – im Grunde sogar eine Börsenweisheit – für diejenigen, die die Aktien- und Finanzmärkte nicht verstehen wollen. Sisyphos lässt grüßen! Gleich passend dazu, im fünften Kapitel, wird eine Mühle vorgestellt, in der Träume gemahlen werden: zu Mehl, das sich besonders für kleinere Brötchen eignet. Eine zentrale Botschaft des äußerlich eher kleinen, aber sehr fein gestalteten Buches erwartet den Leser im zwölften Kapitel. Da begegnen die Schafe und ihr Hirte den Weltverbesserern, die einen großen Globus, ein Abbild der Erde, rot anpinseln wollen, komplett in rot, und die für die Umsetzung dieses Zieles sogar in Kauf nehmen würden, dass der Globus zerbricht. Die Metaphern von Emile Vigneron, die wohl nur ein Franzose so finden konnte, sind verblüffend knapp, aber umso treffender. Ja, natürlich kann der Autor nur ein Franzose sein. Doch es ist ein Zeichen für die deutsch-französische Freundschaft im Europa des 21. Jahrhunderts, dass ein deutscher Illustrator, Peter Menne, das wunderbar leicht geschriebene philosophische Meisterwerk mit seiner Bilderwelt komplettiert hat. Aber Vorsicht! Der Blick nach innen, der Blick in den Spiegel also, ist ein Blick auf vergangene Jahre – vielleicht: vergebene Jahre. Das hüten imaginärer Schafe kann eine gefahrvolle Tätigkeit sein, doch er ist eben erwachsen geworden, der ehemals Kleine Prinz. Zu lesen, was er nun, als großer Prinz, an Ernstem in vergnüglicher Form mitzuteilen hat, ist eine wohlverstandene Pflicht für alle, die imaginäre Schafe zu hüten wissen. Und das sollen ja nicht nur Börsengurus, Vermögensverwalter und Rohstoffhändler sein. Die aber auch. sig Rezension Emile Vigneron Der große Prinz, Gütersloher Verlagshaus, 14,99 Euro BÖRSE 58 am Sonntag · 1v | 201 4


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