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BÖRSE AM SONNTAG SONDERAUSGABE VIP 2017

TRADING FONDS ZERTIFIKATE ROHSTOFFE AKTIEN UNF MÄRKTE UNTERNEHMEN Kolumne Leitmotiv von „Geduld“ und „Vorsicht“ Die EZB sucht nach Formulierungen, die den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik ankündigen, ohne gleichzeitig Zündstoff für eine erneute Euroaufwertung zu bieten. Die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank dauert an. EZB-Chef Mario Draghi hat bekannt gegeben, dass er den Leitzins auf dem Rekordtief von null Prozent belässt. Geschäftsbanken, die Geld bei der Notenbank parken, müssen weiterhin 0,4 Prozent Strafzinsen dafür bezahlen. Mindestens bis Ende Dezember investiert die EZB jeden Monat 60 Milliarden Euro in den Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen. Von einer so dringend von Marktteilnehmern erhofften „Zinsnormalisierung“ kann also noch lange keine Rede sein. Das Problem: Will EZB-Präsident Mario Draghi den Euroraum auf steigende Zinsen vorbereiten, muss er dabei extrem behutsam agieren. Als er in einer Rede im Juni erstmals vorsichtig Bewegungen in Richtung einer Zinsnormalisierung andeutete, heizte er die Euro-Rallye nochmals richtig an. Der Kurs trieb damals schon auf fast 1,20 US-Dollar. Dabei liegen die Argumente für ein Ende der Nullzinsphase schon länger auf der Hand. Die Wirtschaft im Euroraum wächst in diesem Jahr robust mit rund zwei Prozent. Der Ausblick bleibt günstig: Viele Stimmungsindikatoren markieren zyklische Hochpunkte oder bewegen sich in deren Nähe. Die Kreditvergabe steigt. Auch der Arbeitsmarkt spielt mit. Die Arbeitslosigkeit liegt inzwischen unter ihrem langfristigen Durchschnitt, Tendenz weiter sinkend. Darüber hinaus könnten auch juristische Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass Draghi unter Zeitdruck gerät. Denn die EZB kauft von einer Staatsanleihe grundsätzlich nur 33 Prozent des Emissionsvolumens. Läuft das Rentenankaufprogramm weiter wie bisher, könnte diese Grenze bereits im Frühjahr 2018 erreicht sein. Auf der anderen Seite sieht sich der EZB-Chef im Rat der Zentralbank vor allem mit einer Stimmen-Mehrheit der südeuropäischen Länder konfrontiert. Und die haben es in Sachen Zinsnormalisierung alles andere als eilig. Ob Italien, Spanien, Griechenland, Portugal oder auch Frankreich – diese Länder profitieren von der aktuellen Situation, weil sie ihre hohen Staatsschulden sehr günstig finanzieren können. Wichtig ist auch das Signal der amerikanischen Notenbank: Die FED wird wohl noch in diesem Monat darlegen, ob und in welchem Umfang sie Anleihen aus ihrem Bestand wieder in den Markt gibt und ob im Dezember die Zinsen weiter steigen könnten. Nur wenn die FED entsprechende Signale sendet – wovon wir ausgehen – ergeben sich auch für die EZB größere Handlungsspielräume. Bei der jüngsten Zusammenkunft der Europäischen Zentralbank hat sich Draghi trotz seines Leitmottos „Geduld und Vorsicht“ zumindest so weit festgelegt: Noch im Oktober will die EZB darüber entscheiden, ob und in welchem Ausmaß sie das Anleihekaufprogramm fortsetzt. Dass der nächste Schritt in jedem Fall eine Drosselung der Anleihekäufe – das so genannte Tapering – sein wird, davon gehen die meisten Marktteilnehmer aus. Die Kunst wird für Mario Draghi darin bestehen, eine Zinsnormalisierung verbal einzuleiten, ohne dabei eine weitere massive Aufwertung des Euro zu riskieren. BÖRSE 36 am Sonntag · III | 2017 Otmar Lang Chefvolkswirt der Targobank


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