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Anlagetrends2016

Schliekers Kolumne Meinung Meinung 6 // Anlagetrends 2016 Schliekers Kolumne Zum Zinse drängt doch alles … Gefährliche Spiele Die niedrigen Zinsen weltweit, die wohl noch eine gewisse Epoche prägen werden, entwickelten sich in jüngster Vergangenheit zu Sprengstoff für die Weltwirtschaft. Die Lebens- und Rentenversicherungen zum Beispiel: Bislang gab es da noch höher verzinsliche Anlagen in den Depots, jetzt aber wird es Allianz und Konsorten langsam mulmig. Der Garantiezins steht, die zu erzielenden Renditen aber bewegen sich vielfach bereits darunter. Riskante Erträge darf man nur in ganz bescheidenem Maße anstreben. Das Zinsniveau ist politisch motiviert, hier ebenso wie auf der anderen Seite des Atlantiks. Und es hat auch politische Folgen: Die verlangte Eigenkapitalstärkung der Finanzbranche schmälert den Ertrag und lässt weniger Raum für Ausschüttungen jeder Art. Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft der Bevölkerung, sich für die Alters und Hinterbliebenenvorsorge mit Minizinsen abspeisen zu lassen. Auch steuerliche Vorteile reißen es nicht heraus: Die Vorsorgeaufwendungen sind oft schon ohne zusätzliche Lebensversicherung ausgeschöpft. So beobachtet die Sparkassenorganisation mit Sorge, dass Kunden nach Auszahlung von Spar- und Vorsorgeverträgen keineswegs das Geld wieder anlegen, sondern lange vor dem Rentenalter ihr Vermögen für Konsum und Reisen ausgeben. Was im Sinne der Binnennachfrage erwünscht sein mag, ist explosiv angesichts des demografischen Wandels im Lande. In den USA, wo die Notenbank mit Wirtschaftsförderung und Staatsfinanzierung gut beschäftigt ist, zeigt sich das gleiche Dilemma: Die niedrigen Zinsen führen früher oder später zu Preis- und Vermögensblasen. Inflation ist zwar nicht zu erkennen, aber dass sie schlicht verschwunden ist, das glaubt man wohl weder bei der Fed noch bei der EZB. Wobei die EZB in ihrem Wirkungsbereich, in dem die Sonne allerdings schon hin und wieder untergeht, eine gnadenlose Diversität der Volkswirtschaften berücksichtigen müsste, es aber nicht kann: Der Euro ist bislang unteilbar. Schade, dass offenbar der niedrige Zinssatz noch nicht einmal die einzige positive Wirkung entfaltet, die er überhaupt nur haben kann, nämlich den Geldkreislauf in Gang zu halten und die Zinslast auch der verschuldeten Staaten zu verringern. Das alte Wort, „dass man die Pferde zwar zur Tränke führen kann, sie jedoch selbst saufen“ müssten, gewinnt seltsame Aktualität. In dieser Situation leisteten sich die amerikanischen Parteien, die offenbar verfeindet sind bis aufs Blut, einen bizarren Showdown mit ebenso nicht entscheidenden wie ideologisch verblendeten Positionen. Wer ein Lehrstück über politische Verantwortungslosigkeit haben möchte, hat es hier. Der Schaden, der für die Weltwirtschaft allein durch die Verunsicherung erzeugt wurde, hätte vielleicht schon die halbe US-Krankenversicherung finanziert. Auch abzulesen an den Börsenzuwächsen in der ersten oktoberhälfte, die fast ausschließlich auf Nachrichten aus der Washingtoner Politik beruhten (zeitweise waren es ja auch gute, zumindest optimistische Nachrichten). Wie man gut etwas verdienen kann, auch als Staat, zeigte vor einiger Zeit die britische Regierung. Die Konservativen privatisierten ihre Post. Das fast vierhundert Jahre alte Unternehmen wurde an die Börse gebracht – viel zu billig, wie Analysten meinten. Aktionäre konnte das schon am ersten Handelstag freuen: Fast vierzig Prozent plus. Der Staat aber hat immerhin auch 3,3 Milliarden Pfund verdient, und die Beschäftigten erhielten Belegschaftsaktien – kostenlos. Könnten da jetzt nicht mal wirklich alle zufrieden sein? Reinhard Schlieker ZDF-Wirtschafts- korrespondent Man erfährt dieser Tage überdeutlich, wenn man es nicht schon ahnte, warum über den Zins in Religionen ebenso gerichtet wird wie in der Ökonomie gestritten: Der Preis des Geldes scheint doch das Maß wenn nicht aller, so doch vieler – irdischer – Dinge zu sein. Das wütende Verbot, Zins zu nehmen im Islam, der Bannfluch über Geldgeber ganz allgemein als Wucherer im frühen Christentum – beides deutet darauf hin, dass man das Herrschaftsinstrument der Geldvermehrung auf der einen wie das der „Zinsknechtschaft“ auf der anderen Seite sehr wohl einzuschätzen wusste. Dabei ist die Rendite einer Geldanlage wichtiger Grund, Konsum zu verschieben, und für eine Zukunft vorzusorgen, von der man nichts weiß – nicht einmal, ob man sie erleben wird. Wirtschaftsgüter sein Eigen zu nennen hingegen, die zu jedem beliebigen Zeitpunkt des Lebens die eigene Leistungsfähigkeit überfordern würden, wird nur durch das Angebot eines Ertrags für den Kreditgeber überhaupt denkbar. Langlebige Güter vom Auto bis zur Immobilie würden niemals den Besitzer wechseln, gäbe es die Möglichkeit der Finanzierung nicht. Ein so gesehenes demokratisches Element hat der Zins damit ebenfalls: die Möglichkeit der weniger Begüterten, es zu Eigentum zu bringen – langfristig jedenfalls. Nach alledem, und angesichts der gegenwärtigen Zinssituation weltweit, das heißt in den mächtigen Wirtschaftsblöcken Europa und USA, die Schwellenländer in ihrem Bann, muss man sich fragen, ob denn die Herren des Geldes nicht etwa die Begüterten sind, sondern die Notenbanker hüben wie drüben. Und sie, wie etwa Mario Draghi, Banker von Beruf, sind sie nicht als Währungshüter angetreten und agieren als Herren über das Schicksal von Millionen Bürgern? Den Euro zu retten, die Geldwertstabilität zu bewahren, die Konjunktur in der Eurozone zu stützen und den Zusammenhalt der so gänzlich verschiedenen Mitglieder des Euroclubs zu fördern – das sieht allem Anschein nach Mario Draghi als seine Aufgabe, und damit will er in die Geschichte eingehen. Dabei sollte die Europäische Zentralbank, geformt nach dem Muster der Deutschen Bundesbank, und das als Zugeständnis an die Souveränitätsabgabe der Deutschen, die Geldwertstabilität als erstes und zunächst einmal einziges Ziel verfolgen, nach damaligem Verständnis also in erster Linie Inflation, Geldentwertung mithin, bekämpfen. Es gehört zu den in diesen Tagen immer wieder gern erzählten Treppenwitzen der Geschichte, dass nicht nur die Maastricht- Regeln ein ferner Schein wie aus vergangenen Jahrhunderten sind – kein Lebender meint, sich an sie erinnern zu können. Sondern auch, dass Geldentwertung auf dem Umweg über den Leitzins nun von höchster Stelle betrieben wird: Die EZB selbst, wie der Ritter von der traurigen Gestalt sitzend auf einem Klepper namens Furcht, kämpft gegen imaginäre Deflationstendenzen, leugnet den realen Preisverfall beim Öl als entscheidende Quelle für ausbleibende Inflation und wirbelt Stützen der Wirtschaft wie Banken, Versicherungen und Investmentkonzerne durcheinander wie Klötzchen in einem seltsamen Gesellschaftsspiel. Mit Leitzinsen bei null, mit Bazookas zum Feintuning der Devisenmärkte, und immer eine Handbreit von der Kante des globalen Währungskrieges entfernt. An der Spitze der EZB, wie auch des Washingtoner Pendants, der Fed, wünschte man sich derzeit Staatsmänner, Philosophen, womöglich gar ergraute Ökonomen – nur bitte keinen Geldguru mit Furcht und Tadel und keine Sphinx. Jemanden also, der Recht erkennt und befolgt, nicht falschen Zielen anhängt, die Grenzen seines Mandats sieht und die Verantwortung wahrnimmt, wenn etwa die Altersvorsorge von Millionen zerbröselt, Banken in die Klemme geraten und Märkte wirre Signale senden. Und vor allem: Innere Größe hat, wer einen falschen Kurs korrigiert. So einer aber ist Mario Draghi nicht, und ob Janet Yellen, vor der die Schwellenmärkte zittern, überhaupt einen klaren Kurs zu finden in der Lage ist, muss sich noch zeigen. Reinhard Schlieker ZDF-Wirtschafts- korrespondent


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