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Schliekers Kolumne Gefährliche Spiele Die niedrigen Zinsen weltweit, die wohl noch eine gewisse Epoche prägen werden, entwickelten sich in jüngster Vergangenheit zu Sprengstoff für die Weltwirtschaft. Die Lebens- und Rentenversicherungen zum Beispiel: Bislang gab es da noch höher verzinsliche Anlagen in den Depots, jetzt aber wird es Allianz und Konsorten langsam mulmig. Der Garantiezins steht, die zu erzielenden Renditen aber bewegen sich vielfach bereits darunter. Riskante Erträge darf man nur in ganz bescheidenem Maße anstreben. Das Zinsniveau ist politisch motiviert, hier ebenso wie auf der anderen Seite des Atlantiks. Und es hat auch politische Folgen: Die verlangte Eigenkapitalstärkung der Finanzbranche schmälert den Ertrag und lässt weniger Raum für Ausschüttungen jeder Art. Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft der Bevölkerung, sich für die Alters und Hinterbliebenenvorsorge mit Minizinsen abspeisen zu lassen. Auch steuerliche Vorteile reißen es nicht heraus: Die Vorsorgeaufwendungen sind oft schon ohne zusätzliche Lebensversicherung ausgeschöpft. So beobachtet die Sparkassenorganisation mit Sorge, dass Kunden nach Auszahlung von Spar- und Vorsorgeverträgen keineswegs das Geld wieder anlegen, sondern lange vor dem Rentenalter ihr Vermögen für Konsum und Reisen ausgeben. Was im Sinne der Binnennachfrage erwünscht sein mag, ist explosiv angesichts des demografischen Wandels im Lande. In den USA, wo die Notenbank mit Wirtschaftsförderung und Staatsfinanzierung gut beschäftigt ist, zeigt sich das gleiche Dilemma: Die niedrigen Zinsen führen früher oder später zu Preis- und Vermögensblasen. Inflation ist zwar nicht zu erkennen, aber dass sie schlicht verschwunden ist, das glaubt man wohl weder bei der Fed noch bei der EZB. Wobei die EZB in ihrem Wirkungsbereich, in dem die Sonne allerdings schon hin und wieder untergeht, eine gnadenlose Diversität der Volkswirtschaften berücksichtigen müsste, es aber nicht kann: Der Euro ist bislang unteilbar. Schade, dass offenbar der niedrige Zinssatz noch nicht einmal die einzige positive Wirkung entfaltet, die er überhaupt nur haben kann, nämlich den Geldkreislauf in Gang zu halten und die Zinslast auch der verschuldeten Staaten zu verringern. Das alte Wort, „dass man die Pferde zwar zur Tränke führen kann, sie jedoch selbst saufen“ müssten, gewinnt seltsame Aktualität. In dieser Situation leisteten sich die amerikanischen Parteien, die offenbar verfeindet sind bis aufs Blut, einen bizarren Showdown mit ebenso nicht entscheidenden wie ideologisch verblendeten Positionen. Wer ein Lehrstück über politische Verantwortungslosigkeit haben möchte, hat es hier. Der Schaden, der für die Weltwirtschaft allein durch die Verunsicherung erzeugt wurde, hätte vielleicht schon die halbe US-Krankenversicherung finanziert. Auch abzulesen an den Börsenzuwächsen in der ersten Oktoberhälfte, die fast ausschließlich auf Nachrichten aus der Washingtoner Politik beruhten (zeitweise waren es ja auch gute, zumindest optimistische Nachrichten). Wie man gut etwas verdienen kann, auch als Staat, zeigte vor einiger Zeit die britische Regierung. Die Konservativen privatisierten ihre Post. Das fast vierhundert Jahre alte Unternehmen wurde an die Börse gebracht – viel zu billig, wie Analysten meinten. Aktionäre konnte das schon am ersten Handelstag freuen: Fast vierzig Prozent plus. Der Staat aber hat immerhin auch 3,3 Milliarden Pfund verdient, und die Beschäftigten erhielten Belegschaftsaktien – kostenlos. Könnten da jetzt nicht mal wirklich alle zufrieden sein? Meinung Reinhard Schlieker ZDF-Wirtschafts- korrespondent 16 // Anlagetrends 2014


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