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„Folgen des Handelskonflikts am stärksten in Europa“

Der Handelskonflikt belastet weiter die Märkte. Woran sollten sich Anleger orientieren? Und wo lauern die größten Gefahren? Eine Analyse von Karen Ward, Chief Market Strategist EMEA und Tilmann Galler, globaler Kapitalmarktstratege, J.P. Morgan Asset Management.

BÖRSE am Sonntag

Der Handelskonflikt belastet weiter die Märkte. Woran sollten sich Anleger orientieren? Und wo lauern die größten Gefahren? Eine Analyse von Karen Ward, Chief Market Strategist EMEA und Tilmann Galler, globaler Kapitalmarktstratege, J.P. Morgan Asset Management. 

Wird sich der Handelskonflikt als tödlich für den globalen Aufschwung erweisen?

Im Juli wird die US-Wirtschaft ihre längste Expansionsphase aller Zeiten verzeichnen. Die Arbeitslosigkeit ist in den USA, Deutschland, Japan und Großbritannien auf dem oder nahe dem niedrigsten Stand mehrerer Jahrzehnte. Und dennoch gibt es kaum  Anzeichen für eine Überhitzung der Weltwirtschaft. Für Blasen anfällige Sektoren – Wohnungsbau und Investitionsgüter – sind weit von einem Boom entfernt. Von Inflation – häufig ein Vorbote des wirtschaftlichen Untergangs – ist auffällig wenig zu merken. Wenn etwas an der Inflation für die Weltwirtschaft beunruhigend sein sollte, so ist es ihr hartnäckig niedriges Niveau. Insgesamt sieht es so aus, als habe die globale Wachstumsphase trotz ihrer Dauer noch nicht ihre natürlichen Grenzen erreicht.

Aber der Ausblick wird durch politische Konflikte bedroht. Die britische Premierministerin Theresa May hat ihre Hoffnung auf einen parteiübergreifenden Brexit-Deal begraben. Die italienische Regierung hadert mit Brüssel. Und die Handelsgespräche zwischen den USA und China scheinen vorerst in einer Sackgasse gelandet zu sein, was die Weltwirtschaft stärker auf systematischer Ebene bedroht.

An der Wurzel des Streits zwischen den USA und China liegt ein tiefreichendes Zerwürfnis über Technologie. Die US-Regierung ist der Meinung, dass chinesische Unternehmen aufgrund staatlicher Subventionen für den Technologiesektor einen unfairen Vorteil gegenüber ihren Pendants in den USA genießen. Überlagert wird das Thema der „Fairness“ durch die Sorge, dass chinesische Technologie außerdem eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA darstellen könnte. Peking streitet jede Bedrohung der Sicherheit ab und zeigt sich wenig bereit, die Unterstützung für den florierenden chinesischen Technologiesektor zu beenden. Es scheint keine gemeinsame Linie zu geben. Selbst wenn sich in den kommenden Monaten eine Vereinbarung finden ließe, dürfte diese partiell und an zahlreiche Bedingungen gebunden sein.

Zölle alleine werden wohl kaum tödlich für das globale  Wirtschaftswachstum sein. Die Exporte der USA nach China machen lediglich 0,6 % ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Bei China geht es um mehr, weil es 3,6 % seines BIP in die USA exportiert. Aber selbst nach der jüngsten Eskalation sind im jetzigen Stadium die direkten Zahlen relativ klein. Obwohl die Zölle theoretisch der Inflation Auftrieb verleihen sollten, gehen wir von einem geringen Effekt auf die Inflation aus. Stattdessen dürften die chinesischen Produzenten und eine moderate Abwertung des Renminbi einige der Kosten auffangen – und die Gewinnmargen in den USA den Rest.

Die indirekten Folgen werden wahrscheinlich eine ganz andere Größenordnung haben. Zu ihnen gehört das Aufbrechen von Wertschöpfungsketten, wenn Unternehmen ihre Prozesse, die gegenwärtig im Ausland ablaufen, umorganisieren oder ganz ins Inland holen. Der größte wirtschaftliche Effekt wird sein, dass Unternehmen ihre Investitionspläne zurückschrauben, was den Daten zufolge bereits geschieht

Folgen des Handelskonfliktes am stärksten in Europa

Die Schäden des Handelskonflikts werden voraussichtlich in Europa am deutlichsten zu spüren sein. Europa hängt stark vom globalen Handel und Investitionen ab – und diese zwei Komponenten des globalen Wachstums zeigen Schwäche. Die Europäische Union (EU) wartet auch darauf, ob sie als nächste auf Präsident Trumps Liste ungerechter Handelsverhältnisse steht, die korrigiert werden müssen. Die EU erhebt gegenwärtig einen Zoll von 10 % auf Automobile, die aus den USA eingeführt werden, gegenüber einem Zoll von 2,5 % auf Autos aus der EU beim Import in die USA. Es ließe sich annehmen, dass die US-Regierung mit steigender Vehemenz im Vorgehen gegen China immer weniger riskieren wird, auch die EU auf die Tagesordnung zu nehmen. Sicher ist das aber nicht. Auf die Automobilproduktion entfallen in Deutschland stolze 5 % des BIP, so dass die dunklen Wolken ernst zu nehmen sind.

Unglücklicherweise scheint die Anzahl innenpolitischer Hebel, die angesichts der fallenden Auslandsnachfrage gezogen werden können, um die Binnennachfrage in Europa zu stützen, begrenzt zu sein. Die einzigen Länder, die zu haushaltspolitischen Hilfsmaßnahmen bereit sind, sind bereits stark verschuldet, wie z.B. Italien. Die Auseinandersetzungen zwischen Brüssel und Rom dauern an und Matteo Salvini, Anführer der Partei Lega Nord, bleibt unbeirrt. Durch seinen Sieg in der Europawahl bestärkt, beabsichtigt er, die Haushaltserweiterung mit einer Pauschalsteuer voranzutreiben. Obwohl diese Pläne in Brüssel auf Unverständnis stoßen, ist es unwahrscheinlich, dass die Europäische Kommission zukünftig finanzielle Sanktionen gegen die drittgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone verhängen wird. Italien ist zu groß, um auf dieselbe Art und Weise behandelt zu werden wie Griechenland.

In Deutschland ist der Appetit für Staatsausgaben oder Steuersenkungen auf politischer Ebene anscheinend begrenzt, obwohl die Zinsen für deutsche Staatsanleihen inzwischen bis auf 15 Jahre negativ und die Kosten für den Schuldendienst der Bundesregierung drastisch gesunken sind. Deutschland ist weiterhin nicht bereit, das zentrale Problem der Eurozone zu bekämpfen: die mangelnde Nachfrage. Wie in den USA lastet der Druck, die Konjunktur am Laufen zu halten, auf der Zentralbank. Aber anders als bei der Fed sind die Koffer der Europäischen Zentralbank (EZB) angesichts der bereits negativen Zinsen ziemlich leer. Die EZB hat zugesagt, die Zinsen mindestens über das erste Halbjahr 2020 hinweg auf diesem Niveau zu halten, und hat weitere Liquidität bereitgestellt. Dieser Umstand lässt bei Anlegern Überlegungen darüber aufkommen, ob die EZB schließlich gezwungen sein könnte, die Zinsen noch weiter ins negative Territorium zu senken. Und das wiederum belastet die Finanzaktien, die ca. 20 % der europäischen Benchmark ausmachen.

Derweil verdeutlicht die weitere Abwertung des britischen Pfund die Folgen der andauernden Unsicherheit um den Brexit für die Stimmung der Anleger im Hinblick auf Anlagen aus dem Vereinigten Königreich. Es herrscht große Aufregung um den Nachfolger von Theresa May und die Möglichkeit, dass der Prozess dadurch vorangebracht werden könnte. Wir sind der Ansicht, dass der neue Premierminister mit denselben Herausforderungen fertig werden muss wie der letzte. Die Verabschiedung eines Abkommens bleibt schwierig, wenn das Unterhaus in seinen Erwartungen an den Brexit weiterhin uneinig ist, worin sich wiederum die Spaltung der Bevölkerung im Hinblick auf ein Verlassen der EU ohne Deal und dem Wunsch zu bleiben widerspiegelt.

Diese Polarisierung führt zu erheblichen Verschiebungen in der politischen Landschaft des Vereinigten Königreichs. Es ist anzunehmen, dass die Führungskräfte der Konservativen und der Labour-Partei irgendwann erkennen, dass sie einen Anreiz zur Zusammenarbeit beim Brexit haben, um den Schaden für ihre jeweiligen Parteien überschaubar zu halten. Wie schnell sich diese Erkenntnis durchsetzt und welchen Schaden die Volkswirtschaft in der Zwischenzeit nimmt, ist aber immer noch völlig offen. Gegenwärtig müssen die Investoren Klarheit darüber gewinnen, welche Auswirkungen ein No-Deal-Brexit auf die Märkte hätte, im Vergleich zu den Auswirkungen eines Regierungswechsels. Bei einem No-Deal würde möglicherweise das britische Pfund weiter abgewertet, britische Staatsanleihen und internationale Aktien aus dem FTSE 100 hingegen dazugewinnen, weil aus dem Ausland zurückgeführte Gewinne vom schwächeren Wechselkurs profitieren würden. Gleichzeitig besteht bei einer allgemeinen Wahl das Risiko eines Regierungswechsels zur weniger marktfreundlichen Labour-Partei. Eine Labour-Partei, die sich für deutlich höhere Staatsausgaben und eine erneute Verstaatlichung von Versorgungsunternehmen und Verkehrsbetrieben stark macht, könnte zu einem Preisverfall bei Staatsanleihen und insbesondere bei auf den Binnenmarkt orientierten FTSE-100-Unternehmen führen.

Angesichts dieser Szenarien erscheint in Großbritannien eine Orientierung weg von Unternehmen mit kleiner bis mittlerer Marktkapitalisierung, die tendenziell stärker inländisch ausgerichtet sind, ratsam. Das sollte auch dabei helfen, in Portfolios eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegen das Auftreten eines Konjunkturabschwungs aufzubauen, weil britische Small Caps in den drei letzten US-Abschwüngen schlechter abgeschnitten haben als Large Caps.

Die Analyse ist Teil des Kapitalmarktausblicks von J.P. Morgan Asset Management.

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