„Frauen sind das neue China"
Die dunklen Schatten der VW-Abgasaffäre lassen auch andere deutsche Automobilhersteller in Verdacht geraten. Doch während sich Volkswagen-Verantwortliche in den letzten Wochen bisher kaum in den USA blicken ließen, tourte der Daimler-CEO Dieter Zetsche munter durch Amerika. In Washington D.C. war die BÖRSE am Sonntag dabei, hat mit ihm gesprochen und sich seinen Auftritt einmal genauer angesehen.
Die dunklen Schatten der VW-Abgasaffäre bedecken auch andere deutsche Automobilhersteller, wenngleich es bei Ihnen momentan eigentlich sprießt und gedeiht. Daimler, BMW und Co. versichern täglich: „Bei uns hat es keine Manipulationen gegeben. Und das wird es auch nicht.“ Selbst wenn es schwer fällt, man möchte ihnen glauben – zum Wohle des Deutschen Industriestandortes. Während sich Volkswagen-Verantwortliche in den letzten Wochen bisher kaum in den USA blicken ließen, tourte der Daimler-CEO in der vergangenen Woche Dieter Zetsche munter durch Amerika. In Washington D.C. war die Börse am Sonntag dabei, hat mit ihm gesprochen und sich seinen Auftritt einmal genauer angesehen.
Froh sei er, dass er vor einer Runde von Wirtschaftsleuten und Journalisten sprechen könne und nicht zu einer Anhörung des US-Kongresses geladen wurde, sagte Zetsche vor seinen Zuhörern in Washington D.C.; er nimmt den Skandal um den Wolfsburger Konkurrenten mit einem gewissen Humor, weiß aber genau, wie diese Abgasschummeleien schnell auch der von ihm vertretenen Marke schaden könnten. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass er bei der ein oder anderen Frage bezüglich des Diesel-Skandals einwenig nervös wirkt, selbst wenn die geschliffenen Antworten gut vorbereitet sind. „Wir hoffen, dass die Leute differenzieren. Wir müssen nun Vertrauen zurückgewinnen, obwohl wir nichts falsch gemacht haben.“
In den USA, seiner zweiten Heimat, wie der dort als „Dr. Z.“ bekannte Daimler-Chef betont, wurden in den ersten zehn Monaten dieses Jahres so viele Mercedes verkauft wie noch nie zuvor. Inwiefern sich der VW-Skandal auf die Absatzzahlen der deutschen Hersteller in den nächsten Monaten auswirkt, ist aber noch nicht vollends absehbar. Im Moment ist der Stuttgarter Konzern auf dem Zenit seiner Unternehmensgeschichte. Das dritte Quartal brachte dem Autobauer Rekordergebnisse im Absatz und im Umsatz. Der Erlös betrug 37,3 Milliarden Euro. China ist in den ersten drei Quartalen mit einem Plus von 32 Prozent zum Vorjahr erstmals der Absatzstärkste Markt für Mercedes Autos.
Kaufsignale bei Daimler
Kein Wunder, dass es bei der Daimler-Aktie zuletzt wieder stark bergauf ging. Allein im letzten Monat sprang der Aktienkurs um 6,5 Prozent auf aktuell rund 77 Euro. Dank der guten Geschäftszahlen dürfen sich Aktionäre in diesem Jahr über eine Dividendenerhöhung auf satte 2,45 Euro pro Aktie freuen. Das entspricht bei aktuellem Kurs einer Rendite von über drei Prozent.
Die Analysten bewerten die Marke mit dem Stern sehr positiv und stufen das Daimler-Wertpapier überwiegend auf „Kauf“ ein. Goldman Sachs Analyst Stefan Burgstaller goutiert vor allem die starke Performance in China und ernennt Daimler als seinen Favorit unter den deutschen Autoherstellern.
Andere Analysten sehen BMW langfristig betrachtet vor den Stuttgartern. Die Münchner seien beispielsweise in Sachen Carbon-Nutzung und Elektromobilität wesentlich weiter als Daimler.
In Washington erklärte Zetsche weshalb Elektroautos noch nicht der Fokus der Marke mit dem Stern seien: „Elektromobilität ist zwar eine kommende Zukunftstechnologie, nur kommt sie nicht so schnell wie gedacht“, sagte der 62-jährige CEO. Mercedes bietet nur ein Elektromodell, die B-Klasse, an.
Direkte Schnittstelle zum Kunden
Interessanter sei für Zetsche die voranschreitende Digitalisierung im Automobilsektor. Mercedes versucht die „direkte Schnittstelle“ zum Kunden zu bewahren und sie nicht an dritte Anbieter weiterzugeben. Daten aller Art sind im Zeitalter von Big Data nicht nur monetär sehr wertvoll, sondern auch essenziell, um Produkte noch besser an Kunden anpassen zu können. Das wollen Daimler und andere Autobauer nur ungern aus der Hand geben. Google testet bekanntlich bereits selbst selbstfahrende Autos. Über ein Apple-Auto wird ebenfalls schon seit geraumer Zeit spekuliert. Autonomes Fahren ist für Zetsche von großer Priorität. Wenngleich man in Stuttgart nicht unbedingt mit Tesla-Chef Elon Musk übereinstimmt, dass schon bald niemand mehr ein Auto ohne Autopilot kaufen möchte. So böte autonomes Fahren doch interessante neue Marktfelder: „Aus dem Carsharing-Konzept car2go könne car2home werden“, so Zetsche. Also ein Auto, das entfernt auf einem Parkplatz abgestellt wird und seinen Fahrer selbstfahrend zuhause abholt, wann er es will.
„Frauen sind das neue China“
Als kommenden Megatrend nennt der Daimler-Boss, der seit seinem 18. Lebensjahr einen Schnurrbart trägt, die wachsende Zahl weiblicher Kunden: „Frauen sind das neue China“ Frauen seien der nächste Zukunftsmarkt. Demnach müssten sich Autohersteller weiter auf die Bedürfnisse und Wünsche der weiblichen Zielgruppe einstellen. Neue Lackfarben spielen dabei eine Rolle, aber auch Design und Technik allgemein. Vieles bei Daimler könnte sich mit einem Fokus speziell auf Frauen verändern.
Daimler versucht insgesamt das Vertrauen zurückzugewinnen, das der Konzern selbst eigentlich nie verloren hat. Trotzdem ist diese Vorsichtsmaßnahme angemessen, um den Status quo zu bewahren. Denn dem Konzern geht es prächtig. Rekordzahlen über Rekordzahlen, gute Strategien und Produkte in den Zukunftsmärkten und eine langjährig starke Führungsperson an der Spitze, zeichnen den Edel-Konzern aus. In einigen Bereichen hat BMW allerdings die Nase vorn. Und damit wird Mercedes seinem Anspruch nicht gerecht. Denn „Das Beste oder nichts“ bedeutet unternehmenstragisch übersetzt nichts anderes als Marktführerschaft im Premiumsegment. Und diese hat sich nun seit Längerem in München eingenistet – und nicht im Schwabenland. WCW